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Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Titel: Das kalte Jahr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Ehrlich
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die Aufmerksamkeit erst richtig in die Welt. Ich trage Sorge für Richard und Verantwortung, und mit dieser Sorge im Rücken dient mein Blick über alles, was uns begegnet, endlich einem Zweck. Ich muss mich von nichts mehr abwenden. Ich sehe mir alles an, ohne eine Erklärung dafür zu suchen. Ohne zu wissen, was es bedeutet.
    Wenn wir uns zu Hause in der sicheren Umgebung der Räume meiner Eltern befinden, wenn die Scheiben schon blind sind von der Nacht und sich wieder nur unsere im Schummerlicht sitzenden Körper in den Fenstern spiegeln, dann, dachte ich, schauen wir eben zusammen in die Vergangenheit, und dann bereite ich für Richard diese Vergangenheit auf nach meinem besten Wissen. Auf eine Art, die für ihn lehrreich sein oder ihn vielleicht vorbereiten könnte, abhärten für die Zukunft. Heute ist mir klar, dass ich damit unrecht hatte.
    Richard geht vor mir her und schnell voraus, ich schaue in die Gärten und ich sehe hauptsächlich die zugeschneiten Beete, Bänke, Terrassenmöbel, die Zwerge und den anderen Zierrat, lang schon unter der Schneelast niedergedrückte Hecken, manchmal ein leeres Schwimmbad als rechteckiges oder rundes graues Loch in der weißen Schneedecke oder als zylindrische Erhebung. Häufig rutschen kleinere Lawinen von den Hausdächern und landen geräuschlos im Schnee. Ein Auto rollt in Schrittgeschwindigkeit aus einer Garage und man hört die Reifen über die zugeschneite Einfahrt knirschen. Die Hunde leben schon längst mit ihren Herren im Haus, die Eingänge zu ihren Hütten sind vom Schnee verschlossen. Wie es mit den Hühnern und Kühen und anderen Nutztieren geregelt wurde, kann ich nicht sagen, ich bin ihnen jedenfalls nirgendwo im Ort begegnet.
    Immer wieder höre ich meine Schritte, zu riechen gibt es hier draußen nach wie vor nichts und die Schatten, die unsere Körper, die Gebäude und Gegenstände um uns herum auf die Straße werfen, sind lichtgrau und ohne klare Konturen. Wie der Himmel und wie die Vorgänge hinter den Gesichtern der in den Häusern um uns herum abwesend ihren Verrichtungen nachgehenden Menschen.
    In einem der Gärten sehe ich eine in frischen Erdtönen gekleidete Frau stehen, die Hände in die Hüften gestemmt, die heftig ihren Kopf schüttelt und über die Ränder einer Lesebrille hinweg auf die etwas unebene, abgesehen von ein paar Vogelfußspuren aber unversehrte Schneedecke schaut. Ich bleibe an ihrem Gartenzaun stehen, weil sie mich plötzlich anschaut und mir zunickt. Richard läuft unbeirrt weiter, er schaut sich gar nicht um, wir sind auch schon fast in unserer Straße.
    Und weil ich nicht weiß, was ich zu der Frau im Garten sagen soll, mich aber schon zu lange an ihrem Zaun stehend aufgehalten habe, um einfach weiterzugehen, sage ich in ihren sanft und still daliegenden Garten hinein meinen Namen und zeige mit einem meiner Finger in Richtung der Straße meiner Eltern, in die Richard, in einiger Entfernung, bereits einbiegt und aus meinem Blickfeld verschwindet. Die Frau sagt Hofmann als Antwort in einem Ton, dass es wie Hocherfreut klingt und ich stelle mir gleich vor, dass sie die meiste Zeit ihres Lebens in einem Umfeld verbracht hat, in dem die Leute nur Nachnamen haben und Titel, die sie aber weglassen, aus Höflichkeit.
    Die Frau in ihrem Garten ist viel geschickter als ich darin, das unverbindliche Gespräch über den Zaun auf eine sehr persönliche und doch ganz souveräne Art abzuwickeln. Sie erzählt mir, dass sie Professorin an einer exzellenten Universität war, weiter im Landesinneren in einer mittelgroßen Stadt mit langer Geschichte, vielen schmalen Gassen und schöner Architektur. Sie sagt, sie hatte sich vorgestellt, nach ihrem Weggang von dieser Universität ganz viel Zeit im Garten und am Strand zu verbringen, vor allem im Sommer, deshalb habe ich dieses Haus doch gekauft, sagt sie, mich gleich dafür entschieden, als mein Bauch ja gesagt hat und mein Kopf noch am Grübeln war. Ein wenig habe ich mich immer vor diesem Militärgebiet gegruselt, aber das konnte mich am Ende auch nicht abhalten. Es kam mir irgendwann sogar wie ein Schutzgürtel vor, der meine ganze Vorgeschichte von mir abschirmen würde. Und jetzt, sagt sie, bin ich doch wieder auf das Innere dieses Hauses beschränkt und auf mich selbst zurück geworfen, sitze die meiste Zeit lesend an meinem Schreibtisch, von dem ich eigentlich gehofft hatte, dass er in meinem neuen Leben eher eine dekorative Funktion einnehmen würde. Ich lese jetzt auch wieder Bücher,

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