Das kalte Jahr: Roman (German Edition)
Professor Hofmann, aus der noch Faden und Schildchen eines Schwarzteebeutels hingen. Meine Ordner sah ich, hastig hingeworfene, abgelegte Dinge, verknüllte Kleidungsstücke, eine gequetschte Handcremetube mit geöffneter Kappe, die lieblos aufgewickelten Kopfhörer meines mp3-Players. Das war mein Arbeitsraum, in dem ich jeden Tag verbrachte und mit einem Mal wurde ich so unbeschreiblich traurig, als ich ihn mir genau anschaute, mit dieser komischen Andacht, als gehöre das alles gar nicht mir selbst, sondern einer ganz anderen Person.
Ich habe mich damals gefragt, erzählt mir Frau Professor Hofmann, ob es sowas wie einen Respekt geben müsste gegenüber all den Dingen, die einem täglich Beistand leisten bei der Bemühung zu überleben. Und ob es dieser Respekt dann ist, der sie schließlich in Würde dastehen lässt in einem Raum. Dann habe ich mir in aller Deutlichkeit gedacht: Es ist die Eigenmacht der Dinge, die wir besitzen, uns vorzuhalten, wie viel Zeit wir mit uns selbst und wie viel mit der Welt um uns herum verbringen. Das war der Moment, als ich beschlossen habe, die Universität zu verlassen und hierher aufs Land zu ziehen.
Es entsteht eine Pause, in der wir beide kurz horchen, ob sich das Land, auf das die Professorin schließlich gezogen ist, durch irgendeine Äußerung am Gespräch beteiligen möchte, aber da ist wieder nur die weiße Stille und etwas von dem fernen, unzureichenden Raunen der kalten See.
Naja, sagt Frau Hofmann dann schließlich, wenn es nur eine Metapher ist, dann können Sie ja mal vorbei kommen auf einen Kaffee und mir eine ihrer atemberaubenden Geschichten erzählen. Aber überleben würde ich es natürlich schon ganz gern.
Das könne ich, sage ich, ihr leider nicht garantieren und sie schaut auf mich zurück wie auf einen sehr kleinen Jungen und meint, dann müssen wir uns eben wieder zufällig hier am Gartenzaun treffen.
Den Weg durch ihre Straße habe ich dann wochenlang gemieden, obwohl er mir sehr gut gefällt.
Im selben Jahr als Louis Link aufbricht auf seine Wanderschaft, an deren Ende er ja schließlich in Chicago angekommen ist, sage ich zu Richard, als wir zusammen am Esstisch sitzen, nah an dem heiß in den Raum strahlenden Ofen, hat sich Dankmar Adler dazu entschlossen, zusammen mit dem Architekten Louis Sullivan ein neues Architekturbüro zu eröffnen für den Rest seiner beruflichen Karriere, weil er überzeugt war, mit ihm gemeinsam würden sich sehr schöne Hochhäuser bauen lassen.
Sullivan und Adler arbeiteten einige Jahre an zahlreichen Projekten und an der eigenen Unsterblichkeit, bis zu einer großen Depression der Wirtschaft und dem endgültigen Einbruch von Aufträgen und Geldmitteln.
Dankmar Adler starb am 16. April 1900, ziemlich genau 24 Jahre vor Sullivan, der daraufhin kontinuierlich seinen Weltruhm festigte, zeitgleich aber mit jedem Jahr tiefer hinabstieg in eine lange Abhängigkeit von alkoholischen Getränken und der Unterstützung und Zuwendung von Freunden und Verehrern.
In den letzten drei Jahren seines Lebens arbeitete Louis Sullivan an einer Autobiografie, die in Einzelkapiteln in den monatlichen Ausgaben des Journals der Amerikanischen Architekten unter dem Titel Die Autobiografie einer Idee für eine Aufwandsentschädigung von einhundert Dollar pro Kapitel abgedruckt wurde.
Sullivan, erkläre ich Richard, dem langsam, wie ich fürchte, zu viele Zahlen vorkommen in dieser Geschichte, starb am 14. April 1924.
Die Aufzeichnungen über sein Leben halten sich über weite Strecken in seiner Kindheit auf. Zu der Zeit also, in der auch er, wie später Adler, noch von einer intuitiven, von jeder bürgerlichen Bildung losgelösten Vorstellungskraft beseelt war, die um ihn herum die wildesten Gebilde und Formen emporwachsen ließ, über deren Ursprung und Zweck er zum damaligen Zeitpunkt genauso wenig Auskunft geben konnte wie beim Jahrzehnte später erfolgten Aufschreiben seiner Erinnerungen.
Es muss ihm aber, während er dagesessen und geschrieben hat, sage ich zu Richard, schon völlig klar gewesen sein, dass er sich von diesem aus seiner bloßen Vorstellungskraft schöpfenden Wesen bereits weitestgehend entfernt hatte, und deshalb ist, konsequenterweise, wie ich finde, in der gesamten Autobiografie niemals von ihm selbst als Ich die Rede, sondern immer schon von Louis Sullivan, oder eben, in den vielen Kapiteln zu den frühen Jahren seines Lebens, vom kleinen Louis.
Zusätzlich zur Niederschrift der eigenen Geschichte hatte sich Louis
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