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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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glaubst, mich zu kennen, aber du kennst mich nicht.
    Oh, Ringil, meinst du nicht, das würde jeder Junge von seiner Mutter denken?
    Sie legt eine Hand auf die seine. Er zuckt leicht bei dieser Berührung
zusammen – an ihr ist etwas Kühles und nicht völlig Menschliches. Den Geistern an den grauen Orten mangelt es offenbar an der normalen Wärme lebendiger Dinge, und er vermutet, dass sie ihm etwas von seiner Wärme entziehen, damit sie ihn weiterhin umkreisen können. Vielleicht ist es das, wovon sie angezogen werden wie Motten von einer schimmernden Lampe irgendwo im Grau des Sumpflands. Aber …
    Ich habe dich länger gekannt als du dich selbst, sagt sie.
    Er starrt die trüben, dicken, glitzernden Büschel von Spinnweben über dem Sumpfgras vor sich an. Dann sag mir, was ich denke.
    Oh, das Übliche. Ishils Stimme wird abrupt hart und glitzernd wie ein Edelstein. Ihn durchfährt ein Schauder – plötzlich ist sie ein perfektes Ebenbild der Mutter, die er kennt. Du fragst dich, wie ich es fertigbringe, mit der täglichen Wahrheit über eine Ehe mit deinem Vater zu leben und mir nicht an einem sonnenhellen Nachmittag in meinem Badewasser die Adern aufzuschneiden.
    Na ja …
    Sie lacht. Einiges der Härte sickert aus ihrer Stimme. Du bist ein solcher alter Romantiker, Gil! Versuche doch mal, dir für einen Augenblick vorstellen, dass du als Mädchen zur Welt gekommen wärst. Kinder oder Bordell, das sind deine Möglichkeiten. Wir kommen einfach nicht so weit, eine Klinge zu tragen und uns unseren eigenen kompromisslosen Weg durch die Welt zu schlagen wie die Jungs.
    Er hat Frauen gekannt, die das getan haben, drüben im alten Lagerhallenviertel und unten am Hafenende. Zugegeben, nicht viele davon haben ihre Jugendjahre überlebt. Er vermutet, dass es auch nicht viele erwartet hatten.
    Frauen kennen den Preis der Dinge, Gil. Wir lernen es hart und schnell auf dem Knie unserer Mutter, wenn wir helfen, sorgen, holen
und tragen, während unsere Brüder achtlos der Welt gegenüber nach wie vor Ritter und Feinde spielen. Die Welt überfällt uns früh.
    Du hältst es anscheinend durch, sagt er mürrisch. Worin besteht das Geheimnis?
    Kinder, teilt sie ihm in jäher Wärme mit. Sie zur Welt bringen. Sie durchbringen. Das weißt du.
    Er erträgt ihren Gesichtsausdruck bei diesen Worten nicht. Er wendet sich ab von ihrem bohrenden Blick, halb geblendet. Er überlegt mit einer seltsamen, ruhigen Verzweiflung, wie viele Male die Ishil, die er kennt, ihn so angesehen haben mag, ohne es jemals zu erkennen oder zu wissen.
    Bist du deswegen hier? Mich zu durchschauen?
    Wiederum lacht sie, die Stimme dieses Mal völlig frei. Ich bin hier, weil ich dich wegen der Hochzeitsvorbereitungen fragen will, Gil. Die Eheringe für dich und Selys, Gold oder Silber? Rote Rosen oder weiße für den Weg der Braut?
    Was, fragt er schwach.
    Und die Einladungen, die Liste? Bestehst du wirklich darauf, die Kaads zu brüskieren, oder sollen wir das Vergangene vergangen sein lassen? Komm schon, Gil, verdirb deiner Mutter nicht die größte Stunde! Ich bin so glücklich für euch beide. Ist das so seltsam?
    Es ist so verflucht seltsam, dass er nicht einmal darüber nachdenken möchte. Er zeigt auf die Spinnweben, um Zeit zu gewinnen. Hör mal. Ich werde niemanden heiraten, bevor wir nicht zunächst einen Weg hierdurch finden.
    Warum versuchst du es nicht dort drüben?
    Zu seinem Ärger erweist es sich als guter Ratschlag. Es gibt Stellen, an denen sind die Spinnennetze ausgefranst und alt, verklebt durch ausgesogene Hüllen von Insekten und kleinen Sumpftieren. Kein Anzeichen heimlicher, gelenkiger Bewegung. Er zieht den Rabenfreund nur für den Fall der Fälle aus der
Scheide, stochert zweifelnd ein wenig herum und gibt dann auf. Ishil hat wohl recht.
    Dann hier entlang?
    Hier entlang, stimmt sie zu. Geh immer so weiter, es ist der beste Weg hier heraus. Was ist jetzt also mit den Kaads? Im Ernst. Dein Vater meint, sie sollten kommen.
    Da gehe ich jede Wette ein. Grimmig schlägt er sich durch die alten Netze und das Gras und die winzigen, ausgetrockneten, herabhängenden Hüllen, die beim Vorübergehen hin und her pendeln und sich um die eigene Achse drehen. Die Politik des Kanzleramts schläft nie, stimmt’s?
    Oh, fang nicht damit an, Gil!
    Also lässt er es. Er lässt sie stattdessen reden. Und obwohl er es nicht gern zugibt, ist ihre Stimme, die neben ihm ertönt, merkwürdig tröstlich.
    Was du nicht zu würdigen weißt, Gil, ist, dass

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