Das kalte Schwert
schützenden Panzers.
Als seine Geister erscheinen, freut er sich fast über ihren Anblick. Das zumindest ist etwas, woran er gewöhnt ist.
Ja, dir geht es gut. Skimil Shend trabt düster neben ihm einher, in aufgesprungenen Lederstiefeln, schlecht geflickten Hosen und einem weißen Hemd, das schon bessere Tage gesehen hat. Du steckst nicht in einer übelriechenden Mansarde in dieser nach Scheiße stinkenden Möchtegern-Stadt fest. Du bist kein Exilant.
Eigentlich, Ringil beschleunigt den Schritt so gut, wie es der nasse Boden und seine zittrigen Beine ihm erlauben wollen, bin ich einer.
Oh, das nennst du Exil? Ein angeheuerter Botschafter für die majakischen Ebenen, Bezahlung für eine Sinekure, dazu die Anweisungen
der Stadt, die deine Extravaganzen decken? Das ist kein Exil, das ist eine Lizenz, die Ärsche von geilen Pferdezüchtern zu plündern. All diese jungen Dinger mit den eisernen Schenkeln. Das ist vielleicht eine Bestrafung! Ich – Shend zeigt in bombastischem Selbstmitleid mit dem Daumen auf die eigene Brust – ich leide für meine Kunst.
Oh, halt doch den Mund!
Aber er muss sich fragen, nur ganz kurz und obwohl er sich dagegen gewappnet hat, welche Form sein Leben in der Welt dieser Alternative, zu der Shend gehört, wohl angenommen hätte. Ein Shend, der letztlich nie heimgekehrt ist, und ein Ringil , der …
Die Erscheinung ›Sturm‹ ist eine Krümmung im Material eines jeden möglichen Ergebnisses, welches das Universum zulassen will, hatte Seethlaw ihm einmal erklärt, als sie draußen in den grauen Orten das Lager aufgeschlagen hatten, mit aller Souveränität eines Adligen der Niederungen bei einem Picknick. Sie nimmt die Alternativen auf wie eine Braut, die ihr Kleid aufnimmt. Für einen Sterblichen sind jene Alternativen zumeist Wege, die sie nie einschlagen, Dinge, die sie nie tun werden.
Er weiß, er erschafft den Aspektsturm jedes Mal, wenn er in den grauen Orten umhergeht. Er umweht ihn in kaum erkennbaren spinnwebhaften Strudeln, und die Fragmente dieser Alternativen wirbeln um ihn herum wie Wasser bei einem Gewitterguss, das sich in einen Abwasserkanal ergießt.
Ihr lebt innerhalb von Millionen verschiedener Möglichkeiten gleichzeitig. Die – leicht angeheiterte – Ansicht eines Gelehrten in Dwendakunde, den er damals in Trelayne kannte. Stellt Euch vor, welchen Willen es erfordern würde, so etwas zu überleben! Der durchschnittliche menschliche Bauerntölpel würde schlicht völlig wahnsinnig darüber werden.
Es hört sich wirklich wie Wahnsinn an: ein Ringil, nicht enterbt, ein Ringil, von der Familie geschätzt – ja, oder vielleicht weich genug, sich dem Familienwillen zu beugen –, sodass seine Gesetzesübertretung keine schlimmere Sanktion nach sich zöge als eine fragwürdige diplomatische Beförderung. Er sieht sich selbst, wie er höflich aus jenem anderen Trelayne mit einem Rang hinausbefördert wird, der ihm das Gesicht wahrt und ein Amt und einen Stab sichert. In manierlicher Unehre eintausend Meilen nordöstlich in die Steppen geschickt zu einem Ort, an dem sein Begehren den Namen des Hauses Eskiath nicht mehr in Verruf bringen kann, weil niemand in Trelayne wissen wird, was er dort tut, und weil es auch niemanden mehr kümmert.
Er überlegte vage, ob er unter jenem schmerzhaft offenen Himmel einen alternativen Egar getroffen hätte. Einen Egar, der vielleicht nicht ganz so resolut und ausschließlich auf Fotzen fixiert gewesen wäre.
In seiner Brust rührt sich jetzt ein Gefühl, das gefährlich nahe am Begehren liegt.
Was, wenn …
Er unterdrückt es.
Lass den Scheiß, Gil! Es gibt keine Alternativen. Du lebst mit dem, was ist.
Und du lässt nicht zu, dass deine Geister sich in deinem Kopf einmieten.
Trotzdem wirft er einen Blick zur Seite auf Shend. Er kann den Impuls nicht völlig unterdrücken, und es ist kein schöner Anblick. Die einstmals feinen Züge des Poeten sind jetzt, mit den Jahren, eingefallen und aufgedunsen, und sein Haar ist mangels Pflege strähnig geworden. Seine Fingernägel sind bis aufs Nagelbett abgekaut, sein Bauch hängt ihm wie die Schürze eines Geldwechslers herunter. Dass er eines Morgens im Exil erwachte
und einfach aufgegeben hatte, ist ihm wie ein Brandmal ins Fleisch geschrieben.
Aufgequollene Augen erwidern Ringils Blick. Was guckst du so? Siehst du was, das dir gefällt?
Sieh mal, Hinerion ist nicht so schlimm, sagt Ringil voller Unbehagen.
Wirklich? Warum verschwindest du dann von hier?
Ich …
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