Das kalte Schwert
Hause. Halt dich bedeckt, warte auf
Nachricht. Er bezweifelte, dass der jüngere Mann beides mehr als ein paar Tage durchhielte, aber vielleicht würde das auch reichen.
»Was tust du jetzt mit mir?«, fragte ihn das Mädchen, nachdem sich die Kneipentür hinter dem Ishlinak geschlossen hatte.
»Ich bringe dich zu einer Freundin«, teilte er ihr mit.
Draußen wurde aus dem Schwarz der Nacht allmählich ein dünnes Grau – aber bis zum Morgen waren es immer noch ein paar Stunden, und die Straßen waren so leer wie zuvor. Egar blieb einen Moment stehen und schaute sich nach unerwünschten Zeugen in Eingängen und Fenstern um. Entdeckte keinen und winkte dem Mädchen, zu ihm herauszukommen. Sie humpelte an seine Seite, wobei sie nur den linken Fuß belastete. Zum ersten Mal, seitdem sie den Tempel verlassen hatten, fielen ihm ihre nackten Füße auf – die Beine nach wie vor bespritzt vom Flussschlamm. Schwer zu erkennen, ob sie bluteten. Unter seinem Blick presste sie die Lippen zusammen. Wiederum Panik in den Augen.
»Mir geht’s gut.« Sie bibberte. »Ich kann laufen, mir geht’s gut.«
»Wie heißt du?«, fragte er sie freundlich.
»Man nennt mich Nil.«
»Auch recht.« Er warf einen Blick zum Himmel hinauf. »Nun gut, hör mal, Nil, wir müssen uns beeilen. Ich möchte dich vor Tagesanbruch von der Straße weg haben. Eine letzte Anstrengung, bleib einfach bei mir. Kriegst du das hin?«
Ein knappes Nicken.
»Dann los.«
Hinauf durch die sanft ansteigenden Straßen zum Palastviertel, und obwohl Nil humpelte, hatte sie nicht zu viel versprochen. Sie hielt besser mit ihm Schritt als einige der imperialen
Rekruten, die man ihm in der Vergangenheit aufgebürdet hatte. Er spürte, wie seine Anspannung beim Anstieg nachließ. Je höher man den Hügel hinaufkam, desto besser wurde die Gegend und desto geringer die Chance, in Schwierigkeiten zu geraten. Hier oben patrouillierten die Milizen regelmäßig, zudem waren sie wohldiszipliniert, und es war unwahrscheinlich, dass sie jemanden verprügelten, weil sie Bestechungsgelder oder Gunstbeweise erwarteten. Bürger und Sklaven gingen zuversichtlich ihren Geschäften nach. Und alle Verbrecher auf Pirsch wären schlau, sie hätten ihre Vorgehensweise gut geplant, und zufällige Straßenschlägereien wären so gut wie ausgeschlossen.
Kurz gesagt – alle, die sie auf diesen makellos unterhaltenen Fahrwegen träfen, hätten Besseres zu tun, als zu gaffen oder sich sonst wie mit einem majakischen Freibeuter und dessen Konkubine zu befassen.
Also erreichten sie den Hafenberg ohne Zwischenfall. Gelangten bis zu dem Herrenhaus mit der Mosaikkuppel, wobei sie kaum mehr als ein halbes Dutzend eifriger Diener und ein paar kriegsversehrte Bettler in Hauseingängen zu Gesicht bekommen hatten, die aus irgendwelchen Gründen in der Nacht zuvor nicht weggescheucht und den Hügel hinabgeschoben worden waren. Sie erreichten den Lieferanteneingang des Herrenhauses, und Egar nahm sich einen Augenblick, um die letzten seiner vagen Bedenken beiseitezuschieben.
Dann zog er am Glockenstrang.
Das Läuten verklang. Lange geschah nichts weiter, außer dass Stimmen und Schritte hinter der Mauer erklangen. Er war schon halb versucht, die paar Schritte über den weißen Stein zu gehen, die schwarzen Eisenspitzen oben zu packen und sich hinüberzuschwingen, ungeachtet möglicher Verletzungen. Es wäre nicht das erste Mal gewesen – aber unter diesen Umständen …
Er wartete.
Schließlich öffnete sich eine Luke in Kopfhöhe in dem dunklen Holz der Tür. Augen spähten heraus.
»Ja?«
»Brinag?«
»Er hat im Keller zu tun. Und wir zahlen erst zum Ende des Monats. Wenn du also eine Rechnung beglichen haben willst, vergiss es! Was möchtest du?«
Egar schenkte den Augen ein grimmiges Lächeln. »Ich möchte, dass du Brinag sagst, Egar der Drachentöter steht draußen, und diese Tür soll sich lieber öffnen, bevor ich sie eintrete.«
Schockierte Stille. Ein paar Herzschläge lang.
»Äh – ja, Mylord. Ja, ich … Mylord, wir haben auch einen Haupteingang. Wenn Ihr bloß …«
»Geh ihn einfach holen!«
»Ja, Mylord.«
Der Sklave eilte davon, wobei er vergaß, die Luke zu schließen. Egar warf einen Blick auf Nil, die an seiner Seite in sich zusammensackte.
»Jetzt dauert’s nicht mehr lang«, murmelte er.
Brinag kam eilig herbei, sah nach, ob es wirklich Egar war, und entriegelte die Tür. Er bat sie hinein, in einer Hand eine Kerze. Er überprüfte die Straße,
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