Das Karpaten-Projekt
einfach aufgefallen. Wir im Ruhrpott sind
empfindlich an der Stelle.«
»Ich weiß«, sagte Schreiber, »ich komm von hier.«
»Ah, ein Ruhri sind Sie! Woher?«
»Wattenscheid.« Dass die Stadt vor dreißig Jahren nach
Bochum eingemeindet worden war, ignorierten ihre fünfundsiebzigtausend Seelen
immer noch. Der Wattenscheider ging zum Beispiel nicht zum VfL Bochum. ›Die
könnten bei uns aufm Hof kicken, da würd ich nich ma die Rollläden für
hochziehn.‹
»Dann kann ich mir ja sparen, Ihnen von den Reizen der
Region zu erzählen. Das mach ich nämlich immer mit Fremden. Die glauben alle,
hier hängt der Himmel voll Koks.« Steinkamp fuhr mit dem Zeigefinger zwischen
Hemdkragen und Hals entlang. »Weshalb sind Sie denn nun hier, Herr Schreiber?«
»Wegen Ihrer Tochter. Ich war bei ihr in Rumänien.«
»So, so. Worum ging’s?«
»Um Bären.«
Der Chef verdrehte die Augen. Er schwieg ein paar
Sekunden, blätterte in seinem Notizblock, als ob die Antwort darin zu finden
wäre, und sah dann auf die Uhr. »Ich hab gleich um eins eine Besprechung, die
den ganzen Nachmittag dauert. Wollen Sie mich heute Abend zu Hause besuchen?
Dann können wir in Ruhe reden.«
»Nichts lieber als das«, sagte Schreiber.
Steinkamp kritzelte etwas auf seinen Block, riss die
Seite raus und gab sie dem Reporter. »Punkt sieben«, sagte er und griff zum
Telefonhörer. Schreiber war entlassen.
Die Adresse, die Steinkamp aufgeschrieben hatte, entpuppte
sich als eine Villa in Grünlage von Gelsenkirchen-Buer, zu alt, um noch modern
zu sein, zu neu für einen charmanten Altbau. Das eingeschossige Haus hinter dem
Vorgarten riegelte das Grundstück komplett zur Straße ab. Statt Fenstern zog
sich ein Band von Oberlichtern die Fassade entlang. Die Haustür aus Stahl hätte
besser zu einer Trauerhalle gepasst. Schreiber drückte die darin verborgene
Klingel. Hubert Steinkamp öffnete selbst.
»Wie is?«, fragte er.
Schreiber wusste, wie er zu antworten hatte. »Muss. Un
selbs?« Dies war das Begrüßungsritual an Ruhr und Emscher, ein Austausch von
Losungsworten, deren Kenntnis den Eingeborenen vom Fremden schied.
Steinkamp war zufrieden mit der Replik. »Wir gehen ins
Jagdzimmer. Da bin ich abends am liebsten.« Er geleitete Schreiber in die
Tiefen des Hauses. Am Ende des Flurs befand sich eine Eichentür, über der ein
Elch die präparierte Nase rümpfte. Der Kopf und die Schultern des Tieres
hätten, was die Größe anging, für ein Pferd gereicht. Mit den Geweihschaufeln
konnte man einen Bagger bestücken.
»Alaska?«, fragte Schreiber.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Weil da die kapitalsten Elche ihre Fährten ziehen.«
Schreiber benutzte die Jägersprache normalerweise nicht. Sie hatte etwas
Esoterisches, fand er, einen weihevollen Oberton, der aus dem blutigen Handwerk
eine sakrale Veranstaltung machte. Zugleich war ihr Gebrauch ein Erkennungszeichen
der Zunft. Wer ›Elche ihre Fährten ziehen‹ ließ, gehörte dazu. Genau das wollte
Hannes signalisieren.
»Wie lange sind Sie schon dabei?«, fragte der Alte dann
auch.
»Fünfzehn Jotjot.« Jotjot hieß Jahresjagdschein.
Steinkamp musterte ihn ausführlich. »Ein Spätbekehrter.«
Tatsächlich hatte Schreiber erst mit Anfang vierzig die
Jägerprüfung abgelegt, für eine Magazin -Geschichte
über den deutschen Weidmann als solchen. Es war eine kritische Bestandsaufnahme
geworden, aber der Reporter war trotzdem an der Jagd hängen geblieben. Sie
hatte sein Leben verändert. An die Seite des großstädtischen Journalisten war
der Waldschrat getreten. Ohne die Jagd konnte Schreiber sich selbst nicht mehr
denken. Er erzählte Steinkamp, wie er zur Jägerei gekommen war und warum er an
ihr hing.
Dem Schuhmenschen schien das zu gefallen. »Mein Vater ist
schon zur Jagd gegangen. Meinen ersten Bock hat er mir freigegeben, als ich
konfirmiert wurde. Ein Teil der Trophäen da drin stammt noch von ihm.«
Steinkamp öffnete die Tür zum Allerheiligsten und ließ Schreiber vorgehen.
Der Reporter stoppte auf der Schwelle. Das Jagdzimmer war
ein Raum von den Ausmaßen einer Turnhalle, wenn man von der geringeren Höhe absah.
Es beherbergte ein Panoptikum der jagdbaren Tiere Europas. Nicht deren Trophäen
hatte sich Steinkamp an die Wände gehängt, keine gebleichten Schädelknochen
samt Geweih, keine Keilerzähne auf rundem Brett. Die Tiere, die der Alte erlegt
hatte, lebten alle noch. Jedenfalls sah es so aus. Ein Präparator von Gnaden
hatte das Wild in der
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