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Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schmitz
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zu sein. Der Mann machte Mut. Er redete ihr nicht nur gut zu,
er tat auch was. Sie hatte die Berlingeschichte kaum verdaut, als der Reporter
mit der nächsten Überraschung kam.

    »Ich habe Ihren Kollegen Ovidiu Vandra im Jagdmuseum
getroffen. Ein ungewöhnlicher Kerl. Wer trägt heute noch Safariklamotten aus
den Fünfzigerjahren? Und sein Rauschebart ist auch ein wenig aus der Mode. Aber
ich bin ja Hemingway-Fan, wie Sie wissen. Der lief auch so rum. Ovidiu hält
große Stücke auf Sie, Katharina. Und er will helfen. Er glaubt, dass alte
Feinde oder neue Neider Hulanu aus dem Weg geräumt haben. Er will sich
schlaumachen. Ihre Verhaftung hält er für ein abgekartetes Spiel. Das Forstamt
und die Jägervereinigung wollten sie loswerden. Wegen Geschäftsschädigung in
Sachen Bärenjagd.«

    Katharina traute ihren Ohren nicht. Sie hatte Vandra für
einen netten Kollegen gehalten, der es sich aber auf keinen Fall mit der
Forstverwaltung verderben wollte. Was er während der Ceausescu-Zeit getrieben
hatte, wusste sie auch nicht wirklich. Und jetzt wollte Ovidiu für sie den
Ermittler spielen!

    »Was haben Sie mit Vandra gemacht? Der war doch früher
nicht so mutig.«

    Schreiber lächelte. »Ovidiu mag Sie, Katharina. Sie
scheinen einer bestimmten Sorte älterer Herren zu gefallen.«

    Wieder wurde sie rot. Dieses Mal hasste sie es besonders,
weil Schreiber ihr voll in die Augen sah. Der Pastor räusperte sich. Alle
schwiegen.

    »Wie hat meine Disi es aufgenommen?«, fragte sie schließlich.

    »Sie ist traurig, Treni. Jeden Tag auf dem Weg zum Friedhof
kommt sie bei mir im Pfarrhaus vorbei. Ich tröste sie, so gut ich kann.«

    »Bringen Sie sie bitte mit, falls Sie noch einmal kommen,
Herr Pfarrer. Damit sie sieht, dass ich lebe. Sie hat so viel verloren in den
letzten Jahren: den Mann, die Kinder, die sächsischen Nachbarn. Sie war so
froh, dass ich zurückgekommen bin.«

    »Soll ich deinen Eltern auch Bescheid geben? Deine Disi
hat doch sicher eine Telefonnummer.«

    Katharina schüttelte den Kopf. »Wir haben keinen Kontakt
mehr, seit ich nach Kronstadt gegangen bin.« Was sie jetzt am wenigsten
brauchte, waren die Vorwürfe ihres Vaters.

    Die Wärterin mit dem Melonenhut öffnete die Tür und baute
sich im Rahmen auf. »Die Besuchszeit ist zu Ende.«

    Katharina gab Pastor Arning die Hand und bedankte sich.
Hannes Schreiber stand unschlüssig dabei. Aus den Augenwinkeln sah sie sein
bekümmertes Gesicht. Da nahm sie ihn einfach in die Arme und drückte ihn, bis
der Kugelblitz dazwischenfuhr.

    »Das ist hier nicht erlaubt, Orend«, schnarrte die Dicke
und brachte sie zurück in Zelle vier.

     

28

    Karsten Groß ließ es nicht raushängen, aber er hatte es geschafft.
Er war der außenpolitische Sprecher der Fraktion, die den Kanzler stellte. Außenminister
konnte er nicht werden, weil der Job dem kleineren Koalitionspartner zustand.
Doch Groß hatte das Ohr des Regierungschefs und flüsterte ihm, wenn das
Chamäleon im Auswärtigen Amt mal wieder einen Alleingang startete.

    Schreiber kannte Groß seit fast vierzig Jahren. 1968 war
Karsten Chef der Bochumer Jugendorganisation seiner Partei gewesen. Damals
wurde das nur, wer sich links gebärdete. Der kleine Groß hatte das getan. Er
zog gegen den Vietnamkrieg zu Felde, geißelte die griechische Militärdiktatur
und argumentierte gegen die Notstandsgesetze, die seine Genossen in Bonn mit
den Schwarzen durchpeitschten.

    Gemeinsam mit den Linksaußen der Stadt, zu denen Hannes
Schreiber damals zählte, demonstrierte Groß gegen die Fahrpreiserhöhungen bei
Bus und Bahn. Während Schreiber und die Seinen die Straßenbahnen mit Sitzblockaden
lahmlegten – und dafür wegen Nötigung verurteilt wurden –, beschränkte sich
Groß auf das Redenhalten bei Protestkundgebungen. Statt auf die Schienen begab
sich Karsten Groß auf den ›langen Marsch durch die Institutionen‹, wie
seinesgleichen – in Anspielung auf den langen Marsch Mao Tse-tungs – ihre Parteikarriere
gern nannten. Der Marsch begann links unten und endete rechts oben. Groß und
sein Kanzler, der dieselbe Karrierediagonale beschritten hatte, waren an der
Macht. Wie lange noch, war eine andere Frage.

    Schreiber und Groß waren sich während all der Jahre gelegentlich
über den Weg gelaufen. Im Bochumer Stadtrat, im Düsseldorfer Landtag, und
schließlich in Berlin. Sie duzten sich immer noch und nannten einander bei den
Spitznamen aus alter Zeit: Schreiber war wegen seiner Einsneunzig

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