Das Karpathenschloß
rauschenden Festen und Waffengeklirr widerhallte. Er schwieg aber, denn seine Gedanken bedrückten ihn gar so sehr und wie ein Alp lag die Erinnerung auf seinem Herzen.
»Sie!… Sie!…« rief er außer sich. (S. 155.)
Rotzko, der seinen Herrn sich selbst zu überlassen wünschte, hatte sich etwas zur Seite begeben; er würde es nicht gewagt haben, den Grafen durch die kürzeste Bemerkung zu stören. Als die Sonne aber hinter der Bergmasse des Plesa versank und der Schatten in das Thal der beiden Sil einzog, da zögerte er nicht länger.
»Herr Graf, begann er, es ist bereits Abend geworden… Es wird bald um acht Uhr sein.«
Franz schien ihn gar nicht zu hören.
»Es ist Zeit aufzubrechen, fuhr Rotzko fort, wenn wir nach Livadzel kommen wollen, ehe man dort die Gasthöfe schließt.
– Noch einen Augenblick, Rotzko… Ja, in einem Augenblick bin ich bereit, antwortete Franz.
– Wir brauchen eine gute Stunde, gnädiger Herr, ehe wir die Straße auf dem Berge wieder erreichen, und da es dann völlig finster ist, werden wir auf diesem Wege nicht bemerkt werden.
– Noch einige Minuten, sagte Franz, dann begeben wir uns nach dem Dorfe hinab.«
Der junge Graf war nicht von dem Platze gewichen, den er von Anfang an auf dem Plateau des Orgall eingenommen hatte.
»Vergessen Sie nicht, gnädiger Herr, nahm Rotzko wieder das Wort, daß es in finstrer Nacht schwierig sein wird, mitten durch das Felsengewirr zu gehen… Sind wir doch bei hellem Tage nur mit Mühe hindurch gekommen… Sie werden verzeihen, wenn ich dränge…
– Ja, brechen wir auf, Rotzko… Ich folge Dir…«
Es schien jedoch, als würde Franz unabänderlich vor der Burg zurückgehalten, vielleicht durch eine jener geheimen Ahnungen des Herzens, die Niemand zu erklären vermag. War er denn etwa auch am Boden festgewurzelt, wie es der Doctor Patak im Wallgraben gewesen sein wollte? Nein, seine Füße waren von jeder Fessel, von jeder Falle frei… Er konnte auf der Hochfläche hin und her gehen, und wenn er’s gewollt, hätte er das Schloß am Rande der äußeren Böschung hin ungehindert umkreisen können.
Vielleicht wollte er das doch?
Das dachte wohl auch Rotzko, denn er sagte wenigstens zum letzten Male:
»Kommen Sie nun, Herr Graf?
– Ja… ja…« antwortete Franz.
Dennoch blieb dieser unbeweglich stehen.
Schon war es dunkel auf der Hochfläche des Orgall. Der wachsende Schatten des Bergstockes, der immer weiter nach Süden vordrang umhüllte das gesammte Bauwerk, dessen Umrisse sich nur noch als unbestimmte Silhouette darstellten.
Flammte jetzt nicht hinter den schmalen Fenstern des Wartthurms ein Lichtschein auf, so mußte überhaupt bald nichts mehr erkennbar sein.
»Gnädiger Herr… Kommen Sie doch!« mahnte Rotzko.
Franz rührte sich endlich, ihm zu folgen, als hinter der Bastionsmauer, wo die sagenhafte Buche stand, eine Gestalt sichtbar wurde.
Franz hielt an und starrte auf die Erscheinung, deren Umrisse allmählich deutlicher wurden.
Es war ein Weib mit aufgelöstem Haar, ausgestreckten Armen und in ein langwallendes Gewand gehüllt.
War dieses Costüm aber nicht das nämliche, das la Stilla in der letzten Scene des »Orlando« getragen, wo Franz sie zum letzten Male gesehen hatte?
Ja, das war la Stilla, die dort regungslos dastand, die Arme nach dem jungen Grafen ausstreckte und den durchdringenden Blick auf ihn gerichtet hielt.
»Sie!… Sie!…« rief er außer sich.
Vorwärts stürmend, wäre er gewiß bis zum Fuße der Mauer hinunter gerollt, wenn Rotzko ihn nicht zurückgehalten hätte….
Da verschwand plötzlich die Erscheinung. Kaum eine Minute lang hatte sich la Stilla ihm gezeigt.
Immerhin! Eine Secunde hätte für Franz hingereicht, sie zu erkennen. Da entrangen sich ihm die Worte:
»Sie… sie… und lebend!«
Zwölftes Capitel.
War das möglich? La Stilla, die Franz von Telek niemals wieder zu sehen glaubte, war ihm hier auf dem Boden der Bastion erschienen! Es war keine Augentäuschung gewesen, denn Rotzko hatte sie ja gesehen, wie er selbst… Das war sie, die große Künstlerin, bekleidet mit dem Costüm der Angelica, in dem sie sich dem Publicum in der Abschiedsvorstellung des San Carlo-Theaters in Neapel zum letzten Male gezeigt hatte!
Vor den Augen des jungen Grafen leuchtete die furchtbare Wahrheit auf… Dieses angebetete Weib, das die Gräfin Telek hatte werden sollen, wurde seit fünf Jahren hier in den transsylvanischen Bergen eingekerkert gehalten! Die, die Franz auf der
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