Das Karrieremacherbuch
Bundesrepublik spürt, was Abhängigkeit von Ausfuhren bedeutet. Opel beherrscht die Schlagzeilen. Arcandor ist pleite. Einige Unternehmen fordern ihre Mitarbeiter via Intranet und Vorstandsbrief zu Sparvorschlägen auf. Viele entlassen.
Ich stehe vor 16 Trainees aus dem HR- und Marketingbereich, die gerade erfahren haben, dass sie von ihrem ausbildenden Unternehmen aufgrund der Wirtschaftskrise nicht angestellt werden können. Bis zu diesem Zeitpunkt im Wirtschaftskrisenjahr 2009 waren die Trainees immer übernommen worden. Niemand hatte damit gerechnet, so schnell mit der Zukunft der Arbeit und dem ersten Jobwechsel im zweiten Berufsjahr konfrontiert zu werden. Wobei es ja noch nicht mal ein »richtiges« Berufsjahr war, gilt ein Trainee-Programm doch als Ausbildung. Wer es hierher geschafft hatte, konnte bisher mindestens auf den sicheren Berufseinstieg hoffen, vielleicht sogar auf eine lange, mitunter gar berufslebenslange Karriere hoffen. Ja, berufslebenslang. In der Kantine zeigt mir mein Betreuer später einen 65-Jährigen, den Methusalem des Unternehmens. »Der hat sich immer wieder eingeklagt«, flüstert er mir zu.
Die Situation ist nicht sehr gut. Gerade im Marketing- und Personalbereich sind Stellen rar. Viele Teilnehmer haben mehrfach erlebt, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: entweder man ist überqualifiziert, oder es fehlt an Erfahrung. Die Trainees sollen auf alternative Ideen gebracht werden, so das Briefing meines Auftraggebers. Der Firma ist es wichtig, dass die Trainees anderswo unterkommen. Gleichwohl kennt sie den schwierigen Markt. Deshalb sollen sie in einem Zwei-Tages-Workshop lernen, über den Tellerrand zu schauen und sich zum Beispiel mit der Alternative Selbstständigkeit anfreunden. Eine »Mission impossible«, bemerkt mein Auftraggeber.
Ich mache ein Brainstorming. Was können die Trainees tun, wenn sie keinen Job mehr haben? Ich sollte erwähnen, dass wir uns in einer Branche bewegen, die derzeit wenig Auffangpotenzial bietet, den Medien. Da muss all das auf den Tisch, was naheliegt: die Selbstständigkeit, freiberufliche Projektarbeit oder eine Umorientierung in eine andere Branche, vielleicht sogar etwas komplett anderes machen, noch mal studieren, ins Ausland gehen. Alles ist möglich.
Die Masse ist keine Bohème
Die Freude über die Alternativensuche hält sich bei rund der Hälfte der Gruppe in Grenzen. So ein Rausschmiss ist keine lustige Situation. Ich habe Verständnis dafür, dass die Gesichter lang sind und der Frust groß ist. Ebenso verstehe ich, dass beim Thema Selbstständigkeit und Umorientierung als Alternative nicht alle auf die Tische steigen und »Hurra« rufen. Die »kreative Elite« oder »digitale Bohème«, die Selbstständigkeit als die einzig denkbare berufliche Lebensform ansieht, ist nun mal ein kleines Grüppchen.
Die Mehrheit, die Masse der Berufseinsteiger, ist weit davon entfernt, Bohème zu sein. Ihr Denken wird nicht vom Streben nach Unabhängigkeit, von Kreativität und gesellschaftlichem Fortschritt bestimmt, sondern von dem Wunsch nach einer guten Stellung und Erfolg innerhalb eines Unternehmens. Die Mehrheit hat bei genauerer Betrachtung weder besonders gute Ideen noch eine auffällige kreative, digitale oder IT-Kompetenz. Oder, halt, sagen wir besser: Die Mehrheit hat all das noch nicht entwickelt und für sich entdeckt.
Ich sehe Kündigungen deshalb nicht als Befreiung geknechteter Angestellter. Ich denke nicht: Wird ja auch Zeit, die Selbstständigenwuote mindestens wieder auf das Vorkriegsniveau von 20 Prozent anzuheben. Ich bin durchaus der Meinung, dass einige Jahre im Angestelltenverhältnis gar nicht schaden können, bevor man sich – vielleicht – selbstständig macht. Selbstständigkeit setzt entweder einen starken Drang nach Unabhängigkeit oder die Erfahrung voraus, dass sie die beste Basis für die Verwirklichung eigener Vorstellungen ist. Und diese Erfahrung müssen die meisten erst mal machen. Nicht jeder muss von der Schulbank oder vom Campus weg gleich freiberufliches Mitglied der kreativen Klasse werden, auch wenn die Herren Horx und Lobo sich das so leicht vorstellen.
Man muss erleben, was man nicht will
Es hätte für meine Trainees ruhig noch etwas weitergehen können. Das hätte durchaus Vorteile gehabt: Nur wenige Menschen wissen sofort, was sie wollen. Die Mehrheit braucht praktische Erlebnisse, um herauszufinden, was sie NICHT will. Ich gehöre auch zu dieser Mehrheit: Ohne meine Erfahrung als angestellte
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