Das Kastanienhaus

kritzelte eifrig auf ihren Stenoblock, und die Augen aller Teilnehmer richteten sich mit einem Mal fast neugierig auf mich – der junge Mann lächelte mir erneut aufmunternd zu.
    » Ich bin neu in diesem Ausschuss « , sagte ich und wurde mit jedem Wort zuversichtlicher. Ich fragte mich nicht mehr, was Vater sagen würde – jetzt sprach ich für mich selbst, denn ich wollte von ihnen ernst genommen werden. Meine Befürchtungen, dass ich als Frau einen schweren Stand haben könnte, schwanden mehr und mehr. » Ich hoffe, mich künftig sinnvoll einzubringen, und werde alles tun, was in meiner Macht steht, die Beschaffung zusätzlicher Rohseide oder die Entwicklung neuer Fasern zu unterstützen. « Mit diesen Worten beendete ich meine Ausführungen.
    » Danke, Miss Verner, für diesen aufschlussreichen Beitrag. Und bitte nehmen Sie mein Beileid und das des ganzen Ausschusses zum Verlust Ihres Vaters entgegen. Er war ein geschätztes Mitglied dieses Komitees. « In Markhams Stimme lag plötzlich eine unerwartete Wärme, und rund um den Tisch erhob sich zustimmendes Gemurmel.
    Am Ende der Sitzung verabschiedeten sich alle, und ich strebte sofort hinunter in die Lobby, weil ich mich nach frischer Luft sehnte. Als ich fast draußen war, holte mich der nette Mr. Merrison ein.
    » Es tut mir leid, vom Tod Ihres Vaters zu hören. Ich habe ihn zwar nur einmal getroffen, aber er wirkte auf mich sehr klug und umsichtig. Ein wahrer Gentleman « , sagte er. » Finden Sie nicht, dass wir uns jetzt eine Tasse Tee verdient haben? In der Nähe ist ein Café, wo wir mit Glück sogar einen guten Kuchen bekommen, nicht nur den mit Karotten als Hauptzutat. Würden Sie mich begleiten? «
    Bei Tee und Battenberg-Kuchen – in der Tat ein Genuss – erzählte er mir von dem Familienunternehmen, das Seidengarn aus der ganzen Welt importierte. Die Seidenhandlung war in Macclesfield ansässig, dem Zentrum der Weberei in der Nähe von Manchester. Sein nordenglischer Akzent klang in meinen Ohren ein wenig gewöhnungsbedürftig.
    » Und Sie beliefern Verner’s? «
    » Soweit ich weiß seit Generationen schon. «
    » Kein Wunder, dass Ihr Name mir bekannt vorkam. «
    Wir verstanden uns auf Anhieb, Michael und ich, doch damals dachte ich mir noch nichts dabei. Er war selbstbewusst, ohne arrogant zu sein, und witzig, ohne dass es peinlich oder albern wurde. Gut aussehend, aber nicht der Typ, der sofort als attraktiv ins Auge stach. Sein dichtes Haar war dunkel und ein wenig gelockt, doch am schönsten fand ich seine Augen, die fast immer zu lachen schienen. Er hatte perfekte Umgangsformen, und von Anfang an verband uns eine Art Seelenverwandtschaft.
    » Arbeiten Sie gerne im Familienunternehmen? «
    » Offen gestanden war es das Letzte, was ich mir für mich vorstellen konnte. Ich wollte Entdecker werden und vielleicht auch noch eine weitere Nilquelle finden. «
    » Auf den Spuren von Livingstone und Stanley, nehme ich an? « An den Nebentischen drehten sich die Leute um, weil er schallend zu lachen begann.
    » Als mein Vater mich endlich überredet hatte, den Tropenhelm an den Nagel zu hängen und in den Garnhandel einzusteigen, stellte ich fest, dass es erstaunlich interessant war. Wir alle schätzen das, womit wir aufwachsen, meist viel zu gering ein. «
    » Bei mir war es ähnlich. Ich wollte in der Welt herumreisen und Sprachen lernen, bis der Krieg dazwischenkam. Und dann erlag ich der Faszination der Seide. «
    » Tja, ein Silberstreif am Horizont « , sagte er. » Andernfalls hätten wir uns nie kennengelernt. « Sein gewinnendes Lächeln erinnerte mich an Stefan und weckte meine Sehnsucht nach ihm. Ich musste vorsichtig sein, damit ich Michael Merrison keine falschen Hoffnungen machte, dachte ich und wünschte mir zugleich, ihn dennoch zum Freund zu haben.
    » Blieben Sie wegen kriegswichtiger Arbeit von einer Einberufung verschont? «
    » Ja, aber ich habe mich trotzdem gemeldet. Nach Dünkirchen. «
    » Was ist passiert? Wurden Sie verletzt? «
    Er nickte, den Mund voller Kuchen. » Allerdings nicht bei irgendwelchen heroischen Taten oder bei einem dramatischen Gefecht. Nein, ich habe mir während der Ausbildung den Rücken verletzt, irreparabel, und wurde aus dem Dienst entlassen. «
    » Es klingt fast, als würden Sie sich deswegen schämen. «
    » Vielleicht. Wissen Sie, wir waren ein toller Haufen. Jetzt kämpfen die anderen in Nordafrika, in der Hitze und im Sand, und sterben zu Dutzenden, während ich mit anderen Wichtigtuern in