Das Kastanienhaus
den Raum mit einem pfirsichfarbenen Glühen. Die Nachricht, dass John am Leben war, schien sie mit neuer Kraft zu erfüllen.
» Hat dir sein Staffelführer sonst noch etwas erzählt? «
» Er sagte, Johns Bomber sei von der Flak schwer beschädigt worden, aber sie schafften es noch den halben Weg nach Hause, bevor sie über der Nordsee mit dem Fallschirm abspringen mussten. Lily, Gott muss mit ihnen gewesen sein. « Sie hielt inne, um sich die Augen zu wischen, und fuhr dann fort: » Sie wurden von einem deutschen Patrouillenboot gerettet und nach Belgien in ein Krankenhaus transportiert. Dort wurde er verarztet und anschließend nach Deutschland in ein Lager gebracht. «
Sie winkte mit einem Blatt Papier, auf dem eine hastig hingekritzelte Adresse stand, während ihre Augen mich flehend anschauten. » Es muss ihm doch gut gehen, meinst du nicht auch? «
Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, wie es in einem Kriegsgefangenenlager zuging, aber wenigstens war er am Leben. » Es ist ein Wunder. Hast du Vera schon angerufen? «
» O ja « , sagte sie mit einem schwachen Lächeln. » Ich glaube, das ganze Krankenhaus weiß inzwischen Bescheid. Sie meinte, sie fühle sich, als würden Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen. « Sie deutete auf einen Stapel Bücher. » Was glaubst du, was er gerne lesen möchte? Ich packe ein Paket für ihn. «
Nach drei weiteren Wochen, in denen uns immer wieder Zweifel plagten, erreichte uns sein erster Brief, bedeckt mit winziger Bleistiftschrift, abgeschickt im Stalag Luft II , einem der Gefangenenlager für Piloten.
Meine Lieben,
ich bin mir sicher, die letzten Wochen waren schwierig für Euch, aber ich hoffe, dieser Brief wird Euch Eure Ängste nehmen. Ich lebe, und es geht mir gut, und in der Gemeinschaft mit den Kameraden im Lager ist das Leben vollkommen in Ordnung. Ich hatte großes Glück, gerettet zu werden und eine hervorragende medizinische Versorgung zu erhalten. Wir haben das meiste, was wir brauchen, doch äußerst willkommen wären mir Bücher, Zigaretten und ein warmer Pyjama …
Und in diesem bemüht heiteren Ton ging es weiter. Wir erfuhren erst nach dem Krieg, dass seine Verletzungen ziemlich schwer gewesen waren: Er hatte beim Absturz einen mehrfachen Beinbruch erlitten und die meisten seiner Zähne verloren.
Seine Briefe kamen unregelmäßig, manchmal mehrere auf einmal und einige mit schwarzen Zensurstrichen versehen, die Wörter oder ganze Sätze unkenntlich machten. So wie er es darstellte, war das Leben im Lager durchaus vergnüglich: Die Gefangenen organisierten Theaterstücke und Konzerte, Fußballspiele und andere sportlichen Wettbewerbe, und John machte sich darüber hinaus nützlich als Dolmetscher zwischen den Gefangenen und den Wärtern. Wie sein Leben dort wirklich aussah, das verbarg er vor uns. Die Angst, das Heimweh, die Langeweile und sicher auch Hunger und Kälte und Entbehrungen aller Art. Mich beschäftigte vor allem die Frage, wie die Deutschen ihn behandelten, doch darüber schwieg er sich ebenfalls aus.
Mutter lebte hingegen auf. Zu wissen, dass John in Sicherheit war, gab ihrem Leben neuen Sinn und Inhalt. Denn jetzt hatte sie wieder eine Aufgabe, und die bestand darin, sich um John und seine Mitgefangenen zu kümmern. Der Esstisch wurde zu ihrer Einsatzzentrale, wo sich Gegenstände für das nächste Rotkreuz-Paket stapelten: sorgfältig ausgewählte Bücher, gestrickte Mützen, Schals und Handschuhe, Schokoladentafeln, sogar Grammofonplatten.
Sie bestellte für ihn bei einem Verlag Texte von Theaterstücken, die er erbeten hatte, trieb bei einem Spezialgeschäft in London extra warme Kleidung auf, vermutlich expeditionsgeeignet, und organisierte Wohltätigkeitsbasare sowie Spenden- und Kleidersammlungen. Darüber hinaus backten wir Kuchen und kochten Marmelade und was sonst noch. Alles für Pakete nach Deutschland.
Als ich eines Abends nach Hause kam, hörte ich aus dem Salon das schwache Klimpern des Klaviers. Eine fröhliche, jazzige Melodie. Es klang so sehr nach Stefan, dass mein Herz sich in der Erinnerung an jenen Sonntag, als er nach dem Mittagessen gespielt hatte, schmerzhaft zusammenzog. Wie lange war das schon her! Vorsichtig öffnete ich die Tür und spähte ins Zimmer. Natürlich hätte ich am liebsten Stefan dort gesehen, aber auch so war es ein wundervoller Anblick.
Mutter saß da, den Kopf tief über den Tasten, und versuchte sich an einem Ragtime. Ich schlich zurück, ließ die Tür angelehnt. Als Gwen nach
Weitere Kostenlose Bücher