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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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rauszunehmen, machte der Wagen einen Satz nach vorne mit dem Ergebnis, dass der Motor absoff. Gwen beugte sich herüber und schaltete die Zündung aus.
    Ich legte den Kopf aufs Lenkrad. » Robbie ist wegen der Sperrstunde geblieben, nicht meinetwegen « , schluchzte ich.
    » Danach sah es leider nicht aus « , sagte sie mitleidslos. » Ich habe ebenfalls was anderes vermutet. «
    » Warum ziehen immer alle so vorschnelle Schlüsse? Das ist nicht gerecht. «
    » Ausgerechnet du willst mir etwas über Ungerechtigkeit erzählen? « , sagte Gwen leise. » Und über Leute, die voreilige Schlüsse ziehen? «
    Ich begriff nicht gleich, worauf sie anspielte. Bis es mir siedend heiß einfiel, und mit wiederaufflammender Beschämung erinnerte ich mich an meine boshafte Bemerkung, dass sie die Empfindungen » normaler « Leute nicht nachvollziehen könne.
    » Was ich an jenem Tag gesagt habe, Gwen … Ich war so schrecklich wütend, und da ist es mir einfach so rausgerutscht. «
    » Die meisten Vorurteile rutschen einem einfach so heraus « , sagte sie mit unbewegter Miene.
    » Hör zu, es tut mir wirklich leid « , erwiderte ich. » Bitte verzeih mir, es war einfach dumm, so etwas zu sagen. Ich fühle mich wegen der ganzen Sache total unter Druck. «
    Lastwagen rauschten an uns vorbei und ließen den Lieferwagen erzittern. » Komm « , sagte sie. » Höchste Zeit, dass wir losfahren, oder wir schaffen es vor Einbruch der Dunkelheit nicht zurück. Lass mich eine Weile fahren. «
    » Warum ist das Leben so kompliziert? « , fragte ich, als wir wieder auf die Straße bogen. Sie schüttelte den Kopf, antwortete jedoch nicht.
    Ich hatte keine Ahnung, wie viel komplizierter alles noch werden würde.
    Mit meinem Becher Morgenkaffee in der Hand stand ich verschlafen und müde von der langen Fahrt am nächsten Tag wieder einmal am Fenster und hielt Ausschau nach Stefan. Ich war wegen des Missverständnisses immer noch zutiefst beunruhigt, zumal es mir einfach nicht gelang, ihn einmal unter vier Augen zu sprechen. Er ging mir nach wie vor konsequent aus dem Weg.
    Dann sah ich ihn, wie er mit den anderen über den Hof ging. Erst erkannte ich ihn nicht, denn er trug einen Hut. Völlig ungewöhnlich, dachte ich, und dann war er auch noch so weit in die Stirn gezogen, dass er den oberen Teil seines Gesichts verbarg.
    Als ich zur ersten Pause in die Kantine ging, um Kaffee für die Büros zu holen, traf ich ihn. Sobald er hereinkam, sah ich, was der Hut hatte verbergen sollen. Ein dunkelvioletter Bluterguss breitete sich von seinem rechten Auge über die Schläfe aus und begann sich an den Rändern bereits gelb und schwarz zu verfärben.
    Ich stellte mich zu ihm in die Schlange und flüsterte: » Was ist mit deinem Gesicht passiert? «
    » Nichts « , antwortete er abwehrend.
    » Das soll nichts sein? Du siehst ganz schrecklich aus. Erzähl es mir « , sagte ich. Alles deutete auf eine Prügelei hin, nur war Stefan eigentlich nicht der Typ, der sich in so etwas verwickeln ließ. Es musste schon etwas Besonderes passiert sein.
    » Ich bin gegen eine Tür gefallen « , sagte er knapp, ohne mir in die Augen zu sehen. Und er schien nicht bereit zu weiteren Erklärungen. Um kein Aufsehen zu erregen, konnte ich nicht weiter in ihn dringen und musste es dabei vorerst bewenden lassen.
    Natürlich ging mir die Sache nicht aus dem Kopf. Im Laufe des Tages gelangte ich mehr und mehr zu der Überzeugung, dass Stefan ein ernsthafteres Problem mit sich herumschleppte. Sollte ich dem nachgehen, auch wenn das Ärger mit Vater bedeutete? Ich dachte nach: Vielleicht war dieser unübersehbare Bluterguss sogar meinem Vater gegenüber eine perfekte Ausrede, vorsichtshalber nach dem Rechten zu sehen. Schließlich hatten wir, als Familie wie als Firma, die Verantwortung für die drei jungen Deutschen.
    Am Abend ging ich zum Cottage. Walter öffnete mir.
    » Mein Vater möchte gerne wissen, was mit Stefan passiert ist « , log ich. » Kann ich reinkommen? «
    Er nickte, winkte mich in den Flur und rief bei der Treppe nach oben: » Miss Lily für dich, Stefan! «
    Kurz darauf tauchte er auf, was ich bereits als kleinen Fortschritt verbuchte. Sofern das überhaupt möglich war, sah er noch schrecklicher aus als am Morgen. Der Bluterguss hatte sich inzwischen über seine ganze Stirn verteilt und war sogar zu den Augenpartien gewandert.
    » Ich möchte wissen, wie es dir geht. «
    » Es geht mir gut « , sagte er tonlos.
    » Wo hast du das Veilchen wirklich her? «
    »

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