Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
das den tiefen Kummer vertrieb, und es war ein Glück, dass sie nicht bemerkte, wie jäh Jimena verstummte.
Sie sah eine dunkle Gestalt durch den Palast von Tordesillas geistern. Eingesperrt und gedemütigt, einsam und verzweifelt. Sie konnte sie sehen und ihr Leid spüren. Dann fiel das Licht einer Lampe auf ihr Gesicht, und Jimena glaubte in Isabels Züge zu blicken, so ähnlich sah sie ihrer Tochter. Ihrer unglücklichen Tochter Juana. Seit Wochen, Monaten, Jahren schon war ein finsteres Gemach ohne Fenster ihre Hölle, aus der sie erst ihr Vater und dann ihr Sohn nicht wieder entlassen wollte, bis der Tod sie als alte Frau endlich erlöste und ihr Leib hier in der Kirche des Klosters aufgebahrt wurde.
Tränen stiegen Jimena in die Augen, und sie verabschiedete sich hastig von Isabel, ehe die etwas bemerkte und eine Erklärung forderte. Um nichts in der Welt würde sie ihr von dieser Vision erzählen! Isabel würde leben, sie würde ihr Land retten, und sie würde Kinder bekommen. Das war alles, was sie und ihr Gatte im Moment wissen mussten!
Jimena ging zum Palast zurück und ließ sich ihr Pferd bringen. Sie bestand darauf, den sechsten Boten dieses Tages, den Fernando zum Kloster Santa Clara geschickt hatte, zum König zurückzubegleiten, um mit ihm zu sprechen. Sie musste ihm Mut machen, damit er endlich die Initiative ergriff und Alfonso zeigte, dass dessen Platz jenseits der Grenze in Portugal war!
Kapitel 39
Von Tordesillas nach Burgos, 1476
»Ich kann diese Städte nicht im Sturm nehmen!«, rief Fernando und nahm seine rastlosen Runden durch das Zelt wieder auf.
»Dann müssen wir sie eben belagern«, meinte Gutierre de Cárdenas.
»Ja, wenn wir es schaffen, die Brücken zu besetzen, haben wir schon halb gewonnen«, stimmte ihm Alonso de Palencia zu.
»Das dauert zu lange«, widersprach Gómez Manrique. »Das Heer wird unruhig. Die Männer wollen etwas tun. Oder wir müssen die Moral auf andere Weise heben.«
Dass das mit Geld zu tun haben würde, das sie nicht hatten, war allen im Zelt klar.
Jimena saß auf einem Scherenstuhl nahe dem Eingang und schwieg seit mehr als einer Stunde. Die Sonne war inzwischen untergegangen, und die glühende Hitze ließ langsam nach, doch noch immer war es in dem Zelt so stickig, dass ihr jeder Atemzug schwerfiel. Auch die Gesichter der Männer waren rot und von Schweiß bedeckt, doch das lag sicher nicht nur an der Hitze des Tages. Jimena war sich sicher, dass die Männer ihre Anwesenheit vergessen hatten, sonst hätte der König sie ganz gewiss weggeschickt. Doch sie drehten sich im Kreis, und keiner schien eine Lösung zu finden oder auch nur einen Versuch wagen zu wollen. Es schien, als sei ihnen mit dem Zusammenbruch der Königin auch ihre Kraft geraubt worden.
Jimena beschloss, es zu wagen, und erhob ihre Stimme. »Man könnte König Alfonso zu einem Zweikampf fordern«, schlug sie vor. »Früher war dies oft das Mittel der Wahl, um Zwistigkeiten beizulegen und viele Menschenleben zu schonen, deren Kraft auf Feldern und in Handwerksstuben besser eingesetzt werden könnte.«
Die Männer fuhren herum und starrten Jimena an, als sei sie eine Erscheinung.
»Ein Zweikampf«, wiederholte Gómez Manrique, den es anscheinend nicht störte, dass der Vorschlag aus dem Mund einer Frau kam, die hier nichts zu suchen hatte. »Warum eigentlich nicht?«
Er sah den König an und ließ seinen Blick kritisch an ihm herunterwandern. Jimena ahnte, dass er dessen Chancen gegen den Portugiesen abschätzte. Es war ein Risiko, ja, die beiden Herrscher würden mit dem Schwert gegeneinander kämpfen, bis einer von ihnen den Sieg davontrug. Dabei war es möglich, dass einer der Herrscher zu Tode kam, doch konnten sie nicht ebenso leicht mit Tausenden ihrer Männer auf dem Schlachtfeld sterben?
Jimena hatte Fernando häufig bei seinen Übungskämpfen gesehen, die er regelmäßig mit seinen Männern ausfocht, um in Form zu bleiben. Sie kannte zwar den Portugiesen nicht, doch Fernando war deutlich jünger, und sie vertraute ihm.
Fernando starrte Jimena noch immer sprachlos an, dann lächelte er. »Ein ungewöhnlicher Vorschlag, doch warum sollten wir es nicht versuchen?«
»Ich reite, Majestät, um die Bedingungen auszuhandeln«, bot Gómez Manrique an. Er war ein echter Ritter, keiner dieser verweichlichten Adelssöhne, die sich nur mit Frauen, Wein und Festmählern amüsierten. Er machte in seiner Rüstung einen vertrauenerweckenden Eindruck und strahlte die Härte und
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