Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
sich Jimena versah, öffnete Don Miguel bereits das Tor. Die Männer des Kardinals drängten in die Stadt. Auch sie hatten sich in dunkle Umhänge gehüllt, unter denen sie nun ihre Schwerter hervorzogen. Im Flüsterton berichtete Don Miguel und teilte sie dann in kleine Gruppen, die sich nach und nach die Mannschaften auf den Türmen und an den anderen Toren vornehmen sollten. So gelang es ihnen, noch weitere Wächter außer Gefecht zu setzen, ehe die ersten Alarmrufe erklangen.
Das nächste dringende Anliegen war die Festung! Don Miguel drängte die Männer, sich zu beeilen. Noch hatten sie die Chance, das Überraschungsmoment auszunutzen, um sie in ihre Hand zu bekommen, doch als sie den Platz vor der Kathedrale erreichten, mussten sie erkennen, dass es bereits zu spät war. Einigen der Wächter musste es gelungen sein, zu entkommen und Alarm zu schlagen, sodass sie sich mit den Männern des Bischofs in die Festung zurückziehen konnten. Die Brücke war hochgezogen, und ein Hagel aus Pfeilen begrüßte die Männer des Kardinals, als sie sich den Mauern zu nähern versuchten. Es war zwar noch zu dunkel, um gut zielen zu können, dennoch schrie Don Miguel den Männern zu, sie sollten sich zurückziehen. Sie waren zu wenige, um hier gegen diese Mauern etwas ausrichten zu können. Nun galt ihre Aufmerksamkeit der Stadt, die sie vollends in ihre Hände bekommen mussten. Der Überraschungseffekt war vorüber. Jetzt mussten sie mit dem Schwert gegen jeden Mann kämpfen, der sich ihnen entgegenstellte. Zamora wurde lebendig, und Jimena stellte bewundernd fest, wie gut die Brüder aus dem Hause Alba vorgesorgt hatten. Viele der Familien, die auf der Seite der Königin standen, waren im Bilde, und auch einige der Pfarrer und Kapläne, die nun die Glocken läuten ließen und verkündeten, Zamora wäre wieder eine freie Stadt Kastiliens! Bald schon erloschen die Kämpfe. Viele Männer des Bischofs versuchten zu fliehen oder ergaben sich der Übermacht. Es waren kaum zwei Stunden vergangen, seit sie das Tor geöffnet hatten, da wehte wieder das Banner Kastiliens und seiner Königin über Zamora. Die Festung dagegen würden sie nicht so einfach nehmen, jetzt, da die Männer alarmiert waren und die Brücke hochgezogen hatten. Dennoch war es ein Sieg, der dazu angetan war, König Alfonso von Portugal aus der Reserve zu locken.
»Lasst uns zurückreiten«, schlug Don Miguel vor, der sich mit Kardinal Mendozas Männern auf dem Platz vor der Kathedrale so weit zurückgezogen hatte, dass die Pfeile von den Zinnen der Burg sie auch im zunehmenden Licht des neuen Tages nicht erreichen konnten.
Jimena erbat sich einige Minuten Zeit, ehe sie aufbrachen, und lief mit gerafften Röcken zur Ruine der Kirche, wo sie Ramón gefesselt zurückgelassen hatten. Sie überlegte, was sie ihm sagen sollte. Würde sie ihn überreden können, den verräterischen Erzbischof zu verlassen und mit ihr zu kommen? Wie konnte er sein Leben für einen fremden König einsetzen, der in sein Heimatland einfiel?
Sie wusste, was Ramón darauf erwidern würde. Noch immer hielt er Juana für die rechtmäßige Erbin, doch war diese Ehe mit dem Portugiesen nicht eine Farce? Ein Akt der Gewalt, um seinen Überfall zu rechtfertigen, der sicher nicht Juanas Willen entsprach? Wie konnte das junge Mädchen sich wünschen, an den so viele Jahre älteren König gefesselt zu sein, der noch dazu ihr Onkel war! Nicht sie würde Kastilien regieren, sondern ein Fremder aus Portugal, dem das Land nicht am Herzen lag. Es war nicht seine Heimat, die er liebte. Es war nur ein Stück Land, das seine Macht vergrößerte.
Doch keines ihrer Argumente konnte Ramón überzeugen, denn sie fand im Chor der Kirchenruine lediglich die zerschnittenen Stricke, mit denen Ramón gefesselt gewesen war. Mit einem mulmigen Gefühl kehrte Jimena zu Don Miguel und den Männern zurück.
Wer hatte Ramón befreit, und wo war er jetzt? War er in die Kämpfe um die Stadt verwickelt worden und verletzt oder gar tot? Befand er sich unter den Gefangenen? Oder war es ihm gelungen, sich bereits vor dem Ausbruch der Kämpfe selbst zu befreien? So genau hatten die Männer ihn nicht durchsucht. Vielleicht hatte er ein Messer im Stiefel gehabt?
»Seid Ihr bereit, Doña Jimena?«, erkundigte sich Don Miguel höflich, doch sie konnte die Ungeduld spüren. Er wollte aufbrechen, um rechtzeitig zur großen Schlacht zurück zu sein.
Sie hob die Schultern, doch ihre Worte blieben ihr im Hals stecken. Da war er!
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