Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
auf die Lippen biss. War das möglich? Dass der König Männer bevorzugte? Eines war jedenfalls sicher, falls der Marquis dem Drängen des Königs nachgab, dann lediglich aus Machtkalkül. In seinem Blick lag eine Kälte, die Jimena schaudern ließ.
Doch selbst wenn Enrique sich zu seinem eigenen Ge schlecht mehr hingezogen fühlte, war das kein Grund, dem Schlafzimmer der Königin dauerhaft fernzubleiben. Mit solchen Gelüsten stand er nicht allein. Man konnte trotz allem auch ein guter Ehemann sein. So viel wusste Jimena bereits über das Leben, trotz ihrer Jugend.
»Dann wird der König das zweite Kind auch anerkennen, das die Königin zur Welt bringt?«, erkundigte sie sich, noch immer mit den ungeheuerlichen Neuigkeiten ringend.
Don Angelo schüttelte den Kopf. »Das wird nicht möglich sein. Er ist in der fraglichen Zeit nicht einmal in die Nähe seiner Königin gekommen. Nein, das würde ihnen nicht einmal der gutmütigste Pfaffe abnehmen. Der Königin bleibt nichts anderes übrig, als das Kind anderweitig unterzubringen und dann an den Hof zurückzukehren.«
So hatte Jimena viel zum Nachdenken, als sich die Mädchen zu ihren Gemächern aufmachten. Beatriz ging mit Teresa schon einmal vor, da der jüngeren bereits die Augen zufielen. Jimena wartete auf Isabel, die noch mit einem der Höflinge sprach. Der Mann war gut und gern um die vierzig und eher als unauffällig zu bezeichnen. Jimena achtete nicht auf ihr Gespräch. Sie hing ihren Gedanken nach und folgte den beiden in größerem Abstand, als sie den Saal verließen und durch die alte Halle in den nächtlichen Hof traten. Es war kalt, und am samtschwarzen Himmel glitzerten ein paar Sterne.
Isabel fröstelte und ließ sich von ihrem Begleiter ihr dünnes Umschlagtuch um die Schulter legen. Sie dankte ihm, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken, als seine Arme sich um sie schlossen und er sie an sich zog. Sie drehte den Kopf weg, ehe er ihren Mund küssen konnte, und versuchte sich aus seiner Umarmung zu winden.
»Lasst das, Graf, das ist ganz und gar ungehörig!«
»Was bist du nur für ein trübseliges Kind?«, entgegnete er, ohne sie loszulassen. »Du trinkst Wasser statt Wein und frierst allein in einem großen Bett?«
»Ganz sicher lieber, als das Eure zu teilen«, fauchte Jimena dem Grafen ins Gesicht. Wie eine Furie ging sie auf ihn los.
»Nehmt sofort Eure Hände von ihr. Ihr vergreift Euch an der Schwester des Königs!«
Der Graf ließ Isabel los und trat mit erhobenen Handflächen zurück.
»Was für ein Geschrei wegen nichts! Ich wollte ihr ja nur ihre einsame Zeit ein wenig vertreiben. Es ist nicht nötig, ein solches Aufheben zu machen. Wenn Ihr nicht wollt, dann eben nicht. Es gibt hier bei Hof genug junge Damen, die mein Angebot nicht zurückweisen werden.«
»Dann wendet Euch an diese und lasst uns in Zukunft unbehelligt«, schimpfte Jimena. Sie legte den Arm um Isabels Schultern und führte sie rasch davon.
»Es war meine Schuld«, sagte sie leise. »Ich hätte nicht allein mit ihm aus dem Saal treten dürfen.«
»Wenn, dann war es meine Schuld, dass ich meine Pflicht als deine Dame vernachlässigt habe«, widersprach Jimena reumütig. »Aber ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass sie sich selbst an die Schwester des Königs herantrauen.«
»Bei dem traurigen Vorbild, das er ihnen gibt?« Isabel seufzte. Sie ließ sich von Jimena beim Auskleiden helfen. Diese wartete noch, bis Isabel unter der wärmenden Decke lag, dann nahm sie die Kerze von der Kommode und trat in das kleine Nebengemach, in dem Teresa und Beatriz bereits schliefen.
Das Prickeln ihrer Handflächen verriet ihr, dass sie nicht allein in dem düsteren Hof war. Für einen kurzen Augenblick fürchtete Jimena, es könnte einer dieser aufdringlichen Höflinge sein, doch dann merkte sie am Rhythmus ihres Herzschlags, dass sie diese Begegnung nicht fürchten musste, noch ehe sie sein Gesicht erkannte. Sie waren erst ein paar Wochen bei Hof, und doch hatte dieses verwirrende Leben sie so in seinen Bann gezogen, dass sie meinen konnte, schon eine halbe Ewigkeit hier zu sein. So viele neue Gesichter, so viele Bilder und Gedanken, die auf sie einstürmten, so viel Pracht und Schein und so viel Lüge und Verderbtheit in einem einzigen prächtigen Palast! Sie sah mit klopfendem Herzen zu dem jungen Mann auf, der sich ihr in den Weg stellte.
»Doña Jimena«, sagte er höflich und verbeugte sich.
»Ramón!«, gab sie entrüstet zurück. »Du wirst doch jetzt
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