Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
ich das Erbe an«, rief Isaura, doch der Anwalt hob die Hände.
»Sehe Sie es sich erst einmal an. Besitz kann auch eine Belastung sein – vor allem hier in Spanien. Glauben Sie nicht, dass Sie so ein Anwesen hier leicht verkauft bekommen.«
»Das habe ich auch nicht vor«, sagte sie entrüstet, doch er lächelte milde.
»Ja, das hoffe ich für Carmen und für Sie. Lassen Sie sich nicht gleich entmutigen, und verbringen Sie die ersten Nächte lieber in einem Hotel in der Stadt, bis Sie sich eingewöhnt haben. Es wird Ihnen zu Anfang alles vielleicht ein wenig beängstigend vorkommen.«
Isaura wehrte ab und erhob sich. »Ich bin kein ängstlicher Mensch, Señor Campillo.«
Er folgte ihrem Beispiel und trat hinter dem Schreibtisch hervor. »Es war ja auch nur ein Vorschlag.«
Zögernd sah Isaura den Anwalt an.
»Ja? Kann ich noch etwas für Sie tun?«
Sie hob die Schultern. »Ich weiß nicht. Es ist vielleicht eine seltsame Frage, aber wissen Sie, ob ich schon einmal hier war? Ich meine nicht in Ihrer Kanzlei, nein, aber in Kastilien, in Segovia. Vor langer Zeit, vielleicht als Kind, sodass es mir bisher entfallen war.«
Der Anwalt sah sie aufmerksam aus seinen hellen Augen an. Ja, beinahe wachsam, kam es ihr vor. »Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?«, fragte er vorsichtig.
Isaura hob die Schultern. »Das ist schwer zu erklären. Es kommt mir alles so vertraut vor, als hätte ich es schon einmal gesehen.« Sie rang nach Worten. »Es ist ein Gefühl, als würde ich nach einer Ewigkeit heimkommen.« Sie lachte verlegen. »Ich weiß, das klingt ein wenig albern. Aber hat meine Großtante Carmen vielleicht einmal erwähnt, dass ich als Kind zu Besuch war oder so?«
Señor Campillo schüttelte mit einem Ausdruck von Bedauern den Kopf.
»Nein, Carmen war es nicht vergönnt, Sie kennenzulernen, obgleich es stets ihr größter Wunsch war. Wie ich Ihnen bereits sagte, hat sie Ihren Lebensweg aus der Ferne beobachtet und immer wieder von Ihnen gesprochen.«
»Dann verstehe ich das nicht«, murmelte Isaura und schüttelte verwirrt den Kopf. »Dieses Gefühl … Ich meine, ich bin schon viel gereist, aber das habe ich noch nie an einem fremden Ort empfunden.«
Der Anwalt schwieg. Was hätte er darauf auch erwidern sollen? Isaura riss sich zusammen, schenkte ihm zum Abschied ein Lächeln und bedankte sich. Sie reichten einander die Hände, und er brachte sie bis zur Tür.
»Ach, was ich Sie noch fragen wollte: Woran ist meine Großtante denn gestorben?«, fragte Isaura, als sie bereits in der Gasse stand.
»Ein Unfall«, gab der Anwalt Auskunft und schüttelte mit einer Grimasse den Kopf. »Sie fiel von einer Leiter, als sie einer Katze vom Baum helfen wollte, und brach sich das Genick. Wenigstens hat sie nicht gelitten.«
Dann ist es also doch nur ein Zufall gewesen, dass sie drei Tage vor ihrem Tod ihren Anwalt aufgesucht hat, um das Testament zu bestätigen, dachte Isaura, als sie wieder bei ihrem Wagen anlangte. Schließlich hatte sie nicht wissen können, dass sie drei Tage später von einer Leiter fallen würde, oder?
Kapitel 11
Segovia, 1466
Der König reagierte auf den Verrat, wie Jimena es befürchtet hatte: unentschlossen, traurig, resignierend.
»Nackt und bloß bin ich auf die Welt gekommen, und gleichermaßen wird mich die Erde wieder in Empfang nehmen«, sagte er und schüttelte ob der Ungeheuerlichkeit fassungslos den Kopf. Er ballte nicht die Fäuste, und er griff auch nicht zum Schwert. Wären sich seine Gegner einig gewesen und hätten sie nicht schon am Tag nach der Proklamation begonnen, sich wie räudige Hunde um die besten Knochen zu streiten, wäre Kastilien für Enrique verloren gewesen.
Doch die Uneinigkeit seiner Gegner gab den Verbündeten, die dem rechtmäßigen König noch geblieben waren, Zeit, Truppen auszuheben. Allen voran marschierte Beltrán de la Cueva mit einem Heer von fünfzehntausend Bauern und fiel vor seinem König auf die Knie. Enrique war gerührt und ließ sich aus seiner Lethargie reißen. Er stellte sich an die Spitze seines Heeres und marschierte gegen die Rebellen, die sich angesichts der Stärke der Truppe kleinlaut zurückzogen. Sie setzten Carrillo als ihren Anführer ab, und einer nach dem anderen wechselte um Verzeihung heischend wieder auf Enriques Seite.
Doch falls Isabel wie ihre Freundin Beatriz blutrünstig nach Villenas Kopf gelechzt hatte, so wurde sie wieder einmal enttäuscht. Man konnte Enrique nicht ändern, und wieder erlag er dem Gift, das
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