Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
vernünftigen Roman und einem Schmöker besteht darin, daß in einem Roman niemand als Held beginnt. Wenn er einer wird, dann nur, weil er sich dazu zwingt, seine eigene Angst zu überwinden. Ich bin nicht gut genug, eine Tragödie zu schreiben, man kann das also nicht Angst oder einen tragischen Fehler nennen. Aber eine Schwäche können Sie es nennen. Han Chow war Ihre Schwäche, nicht wahr? Sie sind in den Archiven auch erwähnt?«
Quinn schluckte unwillkürlich. Sein Blick hatte Kastler nicht losgelassen. »Wollen Sie es hören?«
»Nein. Wirklich nicht. Aber ich möchte wissen, warum man mit Ihnen Verbindung aufgenommen hat. Das muß gewesen sein, ehe ich Sie aufgesucht habe.«
O’Briens Worte klangen abgehackt, als hätte er Angst vor ihnen. »In der Nacht vor Hoovers Tod wurden die Namen von drei Männern in den Sicherheitslisten im Bureau aufgezeichnet. Longworth, Krepps und Salter.«
»Longworth war Varak!« unterbrach ihn Peter.
»War er das wirklich?« fragte Quinn zurück. »Sie haben mir gesagt, daß Varak bei dem Versuch, die Archive zurückzuholen, starb. Ein Mann tötet sich nicht bei dem Versuch, etwas zu finden, was er bereits besitzt. Es war jemand anderer.«
»Sprechen Sie weiter.«
»Der echte Longworth konnte unmöglich dort gewesen sein. Krepps und Salter waren freie Decknamen. Ich konnte keine Identitäten feststellen. Mit anderen Worten, drei unbekannte Männer haben sich in jener Nacht Zugang zu Hoovers Büro verschafft. Ich begann Fragen zu stellen. Ich erhielt einen Telefonanruf... « «
»Eine hohe Stimme, die im Flüsterton sprach?« fragte Peter.
»Eine Flüsterstimme. Sehr höflich. Sehr präzise. Man forderte mich auf, aufzuhören. Der Hebel war Han Chow.«
Kastler beugte sich vor. Vor zwei Nächten war O’Brien es gewesen, der ihn verhört hatte. Heute war es umgekehrt. Der Amateur führte den Profi. Weil der Profi Angst hatte.
»Was ist ein freier Deckname?«
»Eine Identität, die im voraus für Notfälle vorbereitet ist. Biografische Einzelheiten. Eltern, Schulen, Freunde, Beruf, Militärakten — solche Dinge.«
»Jemand bekommt in zehn Minuten eine persönliche Geschichte verpaßt?«
»Sagen wir, in ein oder zwei Stunden. Er muß sich eine ganze Anzahl Dinge einprägen.«
»Was hat Sie denn ursprünglich zu den Sicherheitslisten geführt? «
»Die Archive«, sagte O’Brien. »Einige von uns fragten sich, was aus ihnen geworden sein mochte; wir sprachen darüber. Ganz leise, nur unter uns.«
»Aber warum die Sicherheitslisten?«
»Das weiß ich auch nicht genau. Ein Ausleseprozeß, denke
ich. Ich habe die Aktenwölfe, die Öfen und die Computerinputs überprüft — aber an keiner der Anlagen ist in nennenswertem Maß gearbeitet worden. Ich erkundigte mich sogar nach den Kartons mit persönlichen Habseligkeiten, die aus dem Flaggenraum geholt wurden.«
»Flaggenraum?«
»Hoovers Büro. Er mochte den Namen nicht. Er wurde in seiner Gegenwart nie benutzt.«
»Waren es viele Kartons?«
»Bei weitem nicht genug, als daß die Akten in ihnen hätten sein können. Für mich hieß das, daß man sie entfernt hatte. Und das jagte mir eine Heidenangst ein. Denken Sie daran, ich hatte ihren Einsatz erlebt.«
»Alexander Meredith ... alles schon einmal dagewesen.«
»Wer ist dieser Meredith?«
»Jemand, den Sie kennenlernen sollten. Nur daß es ihn nicht gibt.«
»Ihr Buch?«
»Ja. Fahren Sie fort.«
»Da es durchaus möglich war, daß man sie entfernt hatte, begann ich, die Listen zu überprüfen. Jeder wußte, daß Hoover nicht mehr lange zu leben hatte; es war sogar eine Codebezeichnung für seinen Tod festgelegt worden: ›Offenes Territorium.‹ Die Bedeutung ist ja wohl klar. Wer würde nach dem Direktor kommen?«
»Oder was?«
»Richtig. Ich saß stundenlang über den Aufzeichnungen, habe sie einige Monate vor seinen Todestag zurückverfolgt und mich auf die Nachtzeiten konzentriert. Schließlich wären Aktenkarren mit Kartons aus Hoovers Büro untertags aufgefallen. Aber da war nichts, was nicht seine Richtigkeit hatte — jede Eintragung stimmte, ließ sich überprüfen — bis mir die Aufzeichnungen für die Nacht vom 1. Mai auffielen. Dort fand ich die drei Namen. Zwei davon waren bedeutungslos, ohne Identität.« Quinn machte eine Pause und nippte an seinem Whisky.
»Und was für eine Theorie haben Sie sich dann aufgebaut? Als Sie erkannten, daß es keine Identitäten gab.«
»Ich dachte damals und tue das teilweise auch heute noch«, meinte
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