Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
Minuten später saß er vor einer sehr komplizierten Maschine, die seltsamerweise nicht viel anders als eine neuere Ausgabe einer alten Juke-Box aussah.
Zehn Minuten darauf war ihm klar, daß der Sergeant in dem Archiv unrecht gehabt hatte, als er meinte, jemand würde zwei Tage brauchen, um sich diese Akten zu Gemüte zu führen. Weniger als eine Stunde würde er brauchen. Brown war nicht sicher, was er hier eigentlich gefunden hatte, aber was auch immer es war, veranlaßte ihn dazu, ungläubig die Informationen anzustarren, die vor ihm über den kleinen Bildschirm huschten.
Von den Hunderten von Männern, die an der Schlacht von Chasŏng teilgenommen hatten, hatten nur siebenunddreißig überlebt. Wenn das nicht schon verblüffend genug war, so war die Verteilung der siebenunddreißig erschütternd. Sie widersprach jeglicher psychologischen Praxis. Männer, die in ein und derselben Kampfhandlung schwere Verletzungen davongetragen hatten, wurden selten voneinander getrennt. Da sie den Rest ihres Lebens in Veteraneninstitutionen verbringen mußten, waren ihre Kameraden häufig das einzige, was ihnen blieb. Solche Männer pflegten immer seltener von Familien und Freunden besucht zu werden, bis diese zu undeutlichen, schemenhaften Schatten in grauer Vorzeit verblaßten.
Und doch hatte man die siebenunddreißig Überlebenden von Chasŏng minutiös voneinander isoliert. Genauer gesagt, einunddreißig waren voneinander getrennt worden und in einunddreißig verschiedenen Hospitälern von San Diego bis hinauf nach Bangor, Maine, verteilt worden.
Die restlichen sechs waren zusammen untergebracht, aber ihre Nähe war beinahe bedeutungslos. Sie befanden sich in einer psychiatrischen Abteilung, die zehn Meilen westlich von Richmond
lag, und wurden dort unter den strengsten Sicherheitsvorkehrungen festgehalten. Brown kannte den Ort. Die Patienten waren unzweifelhaft geistesgestört — alle gefährlich, die meisten gewalttätig.
Und doch waren sie zusammen untergebracht. Es war keine angenehme Aussicht. Aber wenn Kastler glaubte, etwas erfahren zu können, dann waren hier die Namen von sechs Überlebenden von Chasŏng. Vom Standpunkt des Schriftstellers aus konnte man die Umstände sogar als vorteilhaft bezeichnen. Solange überhaupt ein Gespräch mit ihnen möglich war, waren diese Männer, deren Verstand in Chasŏng Schaden gelitten hatte, vielleicht imstande, ihm einiges mitzuteilen. Aus dem Unterbewußtsein heraus vielleicht, aber ohne die störenden Einflüsse, die vom rationalen Denken ausgingen. Auch Geistesgestörte verloren nur selten den Zugang zur Ursache ihrer geistigen Störung.
Etwas, das er nicht näher definieren konnte, beunruhigte den Arzt, aber er war zu verblüfft, um es zu analysieren. Das Unerklärliche hatte seine Gedanken gelähmt.
Und dann wollte er den Datenverarbeitungskomplex verlassen und wieder hinaus in die frische Luft.
Sie betraten kein Hospital, das fühlte Peter. Sie betraten ein Gefängnis. Ein keimfreies Konzentrationslager.
»Nicht vergessen, Sie heißen Conley und sind Spezialist für Mikrobiologie«, sagte Brown. »Das Reden überlassen Sie mir.«
Sie schritten durch den langen, weißen Korridor, der zu beiden Seiten von weißen Stahltüren gesäumt war. In den Wänden neben den Türen waren kleine, dicke Beobachtungsluken eingelassen, durch die Kastler die Insassen sehen konnte. Erwachsene Männer lagen zusammengekrümmt auf dem nackten Boden, manche in ihren Exkrementen. Andere schritten wie Tiere auf und ab, und wenn sie bemerkten, daß Fremde im Korridor waren, schoben sie verzerrte Gesichter gegen das Glas. Wieder andere standen an den Fenstern und starrten ausdruckslos auf das Licht draußen, in stummer Fantasie verloren.
»Daran gewöhnen Sie sich nie«, sagte der Psychiater, der sie begleitete. »Menschliche Wesen, die auf das Niveau der niedrigsten Primate zurückgeführt sind. Und doch waren sie einmal Männer, das dürfen wir nie vergessen.«
Peter brauchte ein paar Augenblicke, um zu begreifen, daß der Mann zu ihm gesprochen hatte. Im gleichen Augenblick wußte er, daß sein Gesicht die Emotionen widerspiegelte, die er
empfand; eine Mischung aus Mitgefühl, Neugierde und Abscheu.
»Wir möchten mit den Überlebenden von Chasŏng sprechen«, sagte Brown und enthob Kastler damit der Antwort. »Könnten Sie das arrangieren, bitte.«
Der Mann im weißen Kittel schien überrascht, erhob aber keine Einwände. »Man hat mir gesagt, daß Sie Blutproben nehmen
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