Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
bestand immerhin die Möglichkeit, daß man sie vergaß.
Aber das war nicht realistisch; irgendwo mußten jene Akten sein. Also hatte Quinn angefangen, Fragen zu stellen. Begonnen hatte er mit den Räumen, in denen die Aktenvernichtungsanlagen
standen. Aber aus Hoovers Büro war seit Monaten nichts mehr gekommen. Dann hatte er die Mikrofilm- und Mikropunktlabors überprüft. Doch soweit sich irgend jemand dort erinnern konnte, waren keine Akten mehr verkleinert worden. Schließlich hatte er die Eingangsbücher überprüft — alles, das direkt in bezug auf genehmigte Lieferungen oder Abgaben mit Hoover in Verbindung stand. Nichts.
Seinen ersten Hinweis fand er in den Logbüchern der Sicherheitsabteilung. Eine späte Eintragung durch Zerhacker autorisiert, in der Nacht vom 1. Mai, der Nacht vor Hoovers Tod. Ihn hatte die Eintragung verblüfft. Drei Agenten — Salter, Krepps und ein Mann Namens Longworth — waren um elf Uhr siebenundfünfzig eingelassen worden, aber es hatte keine Freigabe für sie gegeben. Nur eine Bestätigung über den privaten Zerhacker des Direktors. Aus Hoovers Haus. Es hatte einfach keinen Sinn gegeben. Anschließend hatte Quinn den Senioragenten kontaktiert, der die drei eingelassen hatte, Lester Parke. Es war nicht leicht gewesen. Parke war einen Monat nach Hoovers Tod in den Ruhestand getreten, mit einer bescheidenen Pension, aber immerhin genügend Geld, um sich eine Eigentumswohnung in Fort Lauderdale zu kaufen. Auch das war ihm nicht ganz logisch erschienen.
Parke hatte nichts aufklären können. Der Senioragent hatte Quinn gesagt, daß er in jener Nacht mit Hoover selbst gesprochen hätte. Hoover selbst hatte eindeutige und vertrauliche Anweisung gegeben, die Agenten einzulassen. Das weitere sollte von ihnen selbst kommen.
Also hatte Quinn sich bemüht, drei Agenten Namens Salter, Krepps und Longworth ausfindig zu machen. Aber ›Salter‹ und ›Krepps‹ waren Decknamen, Namen, für die es eine Biografie gab, und die von verschiedenen Agenten zu verschiedenen Zeiten für Geheimoperationen gebraucht wurden. Es gab keinerlei Hinweise, wonach die Namen im Mai ausgegeben worden waren; wenn es solche Hinweise gab, hatte Quinn keinen Zutritt dazu.
Die Information über Longworth war vor einer reichlichen Stunde hereingekommen. Sie war so verblüffend, daß Quinn seine Frau angerufen und ihr gesagt hatte, er würde zum Abendessen nicht nach Hause kommen.
Longworth war zwei Monate vor Hoovers Tod in den Ruhestand getreten! Er lebte jetzt auf Hawaii. Da dies die bestätigte Information war, was hatte Longworth dann in der Nacht vom 1. Mai in Washington zu tun, am Westeingang? O’Brien wußte, daß er ernsthafte, unerklärte Diskrepanzen in offiziellen Aufzeichnungen
gefunden hatte, und war überzeugt, daß sie in Verbindung mit den Akten standen, von denen niemand sprach. Morgen früh würde er zum Generalstaatsanwalt gehen.
Sein Telefon klingelte und erschreckte ihn. Er griff danach. »O’Brien«, sagte er, ohne seine Überraschung zu verbergen; sein Telefon klingelte nur selten nach fünf Uhr abends.
»Han Chow! « Das Flüstern brannte in seinem Ohr. »Erinnern Sie sich an die Toten von Han Chow.«
Carroll Quinlan O’Brien stockte der Atem. Seine Augen waren plötzlich blind geworden; Dunkelheit und weißes Licht traten an die Stelle seiner vertrauten Umgebung. »Was? Wer sind Sie?«
»Die haben Sie angebettelt, erinnern Sie sich, wie die gebettelt haben?«
»Nein! Ich weiß nicht, wovon Sie reden? Wer spricht?«
»Natürlich wissen Sie das«, fuhr die Flüsterstimme fort. »Der Cong-Kommandant hat mit Vergeltungsmaßnahmen gedroht — Exekutionen — wenn jemand aus Han Chow entkäme. Nur sehr wenige waren dazu imstande, es um der anderen willen nicht zu tun. Aber nicht Major O’Brien. Nicht Sie.«
»Das ist eine Lüge! Es gab keine Übereinkunft! Gar keine!«
»Sie wußten ganz genau, daß es eine solche Übereinkunft gab. Und Sie haben sich nicht darum gekümmert. In Ihrer Baracke waren neun Männer. Sie waren der Gesündeste. Sie sagten ihnen, sie würden gehen, und die anderen haben Sie angebettelt, es nicht zu tun. Am nächsten Morgen, als Sie weg waren, schaffte man sie in die Felder hinaus und erschoß sie.«
O Gott! O heilige Maria, Mutter Gottes! Es war nicht so, wie es sein sollte! Sie konnten die Artillerie in der Ferne durch den Regen hören. Nie wieder würde sich ihnen eine solche Chance bieten! So nahe! Er brauchte sich nur bis zu den Kanonen
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