Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
verstehen nicht...«
»Den Teufel tue ich! Fünfunddreißig Jahre beim Teufel. Wo man mich braucht. Braucht . Verstehen Sie das!« Das war keine Frage.
»Ja ...« Peter packte die Handgelenke des Soldaten mit aller Kraft, die ihm noch geblieben war. Der Schmerz war unerträglich. Er sprach ganz langsam: »Ich habe Sie gebeten, mir zuzuhören. Mir ist es gleichgültig, was geschehen ist; es geht mich nichts an. Was mich interessiert, ist, daß Longworth Sie benutzt hat, um sich an mich heranzumachen. Kein Buch ist so viel wert. Es tut mir leid.«
»Leid? Dafür ist es ein wenig spät!« Wieder explodierte der Soldat und schmetterte Peter erneut gegen die Wand. »All das ist wegen einem verdammten Buch passiert?«
»Bitte! Sie können doch nicht...«
Hinter der Tür krachte etwas. Es kam aus dem Wohnzimmer. Und dann war ein schreckliches Stöhnen zu hören — eine Art Singsang, halb verrückt. MacAndrew erstarrte, und seine Augen wanderten zur Tür. Er ließ Peter los und warf ihn gegen den Schreibtisch, während er gleichzeitig nach der Tür griff. Er zog sie auf und verschwand ins Wohnzimmer.
Kastler stützte sich auf den Schreibtischrand. Der ganze Raum kreiste um ihn. Er atmete wiederholt tief durch, um wieder zu sich zu kommen, um den Schmerz zu vertreiben, der in seinem Schädel pulste. Jetzt hörte er es wieder. Das klagende, verrückte Singen. Es wurde lauter; jetzt konnte er die Worte unterscheiden.
». . . draußen ist es schrecklich, aber das Feuer ist so schön, und da wir nicht wissen, wohin wir sollen gehen ... soll es schneien! Laß es schneien! Laß es schneien ...«
Peter hinkte zur Tür des Arbeitszimmers. Er sah ins Wohnzimmer — und wünschte sich, er hätte es nicht getan.
MacAndrew kauerte auf dem Boden und hielt eine Frau in den Armen. Sie trug ein zerrissenes Negligé, das ihr verblichenes Nachthemd, das seinerseits alt und abgetragen war, nur teilweise bedeckte. Rings um sie waren Fragmente von zersplittertem Glas. Der Stiel des zerschlagenen Weinglases rollte lautlos über den Teppich. Jetzt bemerkte MacAndrew seine Anwesenheit. »Jetzt wissen Sie, worin diese schädliche Information besteht.«
». . . und da wir nicht wissen, wohin wir gehen sollen, laß es schneien! Laß es schneien! ... «
Jetzt wußte es Peter. Das erklärte das alte Haus draußen auf dem Land, das Telefon, dessen Nummer nicht eingetragen war und das Fehlen einer Adresse in der Informationszentrale des Pentagon. General Bruce MacAndrew lebte isoliert, weil seine Frau geistesgestört war.
»Ich verstehe«, sagte Kastler leise. »Aber ich verstehe auch nicht. Ist das der Grund?«
»Ja.« Der Soldat zögerte, dann wanderte sein Blick zu seiner Frau zurück, und er hob ihren Kopf, so daß er in ihre Augen sehen konnte. »Es war ein Unfall; die Ärzte sagten, man müßte sie wegschicken. Das wollte ich nicht tun.«
Peter verstand. Hochrangige Generale im Pentagon hatten kein Recht auf gewisse Tragödien. Andere Arten schon. Tod, oder Verstümmelung auf dem Schlachtfeld zum Beispiel. Aber nicht das, eine geistesgestörte Frau. Frauen mußten tief im Schatten eines Soldatenlebens bleiben. Es durfte keine Störungen geben.
»... und wenn wir uns schließlich den Gute-Nacht-Kuß geben, dann will ich nicht hinaus in den Sturm ...«
MacAndrews Frau starrte Peter an. Ihre Augen weiteten sich. Ihre schmalen, blassen Lippen öffneten sich, und sie schrie. Und dem Schrei folgte der nächste Schrei. Und dann noch einer. Sie drehte den Kopf herum, und ihre Nackenmuskeln spannten sich, und ihre Schreie wurden immer wilder, unkontrollierter.
MacAndrew hielt sie fest in den Armen und starrte Kastler an. »Nein!« brüllte der General. »Kommen Sie heraus! Gehen Sie zum Licht! Ans Licht, sage ich; Sie sollen Ihr Gesicht über den Schirm halten. Ins Licht , verdammt!«
Peter tat stumpf, was man von ihm verlangte. Er schob sich auf eine Lampe zu, die auf einem niedrigen Tisch stand, und ließ ihren Lichtschein auf sein Gesicht fallen.
»Schon gut, Mal. Alles ist gut. Alles.« MacAndrew wiegte seine Frau in den Armen, das Gesicht gegen das ihre gedrückt. Ihre Schreie ließen nach.
Jetzt schluchzte sie nur noch, tief und schmerzerfüllt.
»Und jetzt verschwinden Sie hier«, sagte er zu Kastler.
11
Der Old Mill Pike verließ Rockville in westlicher Richtung, ehe sie nach Süden in die Maryland-Nationalstraße bog, die nach Washington führte. Die Fernstraße verlief beinahe zwanzig Meilen von MacAndrews Haus entfernt,
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