Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
etwas wie ein Spätentwickler, der gerade erst beginnt, seine Fähigkeiten zu erkennen. Er ist nach Washington gekommen und hat dort einen Sonderauftrag des Justizministeriums übernommen. Sein Spezialgebiet ist Strafrecht. Er ist ein Mann mit Sinn für Details, gleichzeitig aber einer breiten Wissensbasis.
Man hat ihn engagiert, um die Vorgehensweise gewisser Abteilungen des Federal Bureau of Investigation unter die Lupe zu nehmen — eine Aufgabe, die sich infolge der alarmierenden Zunahme fragwürdiger Methoden der Außenagenten des Bureaus als notwendig erwiesen hat. Unbewiesene Behauptungen sind an die Öffentlichkeit gelangt. Die Zahl der illegalen Durchsuchungen und Festnahmen hat sich vervielfacht. Die Justizbehörden machen sich Sorgen, künftig könnten legitime Fälle wegen Verfassungsbruch von den Gerichten abgewiesen werden.
Meredith ist seit einem Jahr in dieser Position tätig, und etwas, das mehr oder weniger als Routineauftrag angefangen hat, hat sich zu einer Folge atemberaubender Enthüllungen ausgewachsen.
Innerhalb des Federal Bureau of Investigation gibt es eine Geheimoperation mit dem Ziel, inkriminierende Informationen über einen weiten Bereich von Persönlichkeiten der Öffentlichkeit, aber auch der Privatwelt zu sammeln. Meredith erkennt die Verbindung zwischen einigen Zeitungsberichten über einflußreiche Männer, die plötzlich erstaunlich unerwartete Dinge tun, und einigen Namen, die er im Bureau ausfindig gemacht hat. Natürlich handelt es sich dabei um die im ersten Kapitel beschriebenen Opfer. Zwei sind verblüffend. Der erste ist ein Richter am Obersten Gericht — ein Mann, von dem bekannt ist, daß Hoover ihn verabscheut, der plötzlich aus dem Gerichtsdienst zurücktritt. Der zweite ist ein farbiger Anführer der Bürgerrechtsbewegung, der öffentlich von Hoover verurteilt wurde, und den man tot auffindet. Selbstmord.
Beunruhigt beginnt Meredith eine Suche nach konkreten Beweisen illegaler Praktiken des FBI. Er schleicht sich in das Vertrauen leitender, Hoover nahestehender, Persönlichkeiten ein, gibt Sympathien vor, die er in Wirklichkeit nicht besitzt. Immer tiefer und tiefer gräbt er, und was er entdeckt, macht ihm nur noch mehr Angst.
In der obersten Etage des Bureaus gibt es eine kleine Gruppe von
Fanatikern, die Hoover blind ergeben sind. Sie führen Befehle des Direktors in dem vollen Wissen aus, daß davon viele absolut illegal sind. Meredith stellt fest, daß es einen Mann gibt, der dem Außenbüro in La Jolla, Kalifornien, zugewiesen ist, und der als Hoovers Revolvermann tätig ist. Jedesmal, wenn eine Person von nationaler Bedeutung etwas Unerwartetes tut, befindet er sich am Schauplatz des Geschehens. Seine Beschreibung stimmt mit der des Fremden im Prolog überein .
Kastler legte den Bleistift beiseite und leerte seine Kaffeetasse. Er dachte über Alan Longworth, Hoovers ›Revolvermann‹ nach. Longworth blieb für ihn ein Rätsel. Wenn man davon ausging, daß der Agent aus Gewissensbissen wegen seines Verrats an Hoover nach Malibu gekommen war, warum sollte er dann eigentlich seine gegenwärtige Existenz in Hawaii aufs Spiel setzen? Warum hatte er eine Übereinkunft gebrochen, die ihn das Leben kosten konnte? Warum hatte er zu guter Letzt Peter zu Daniel Sutherland geschickt, der den ehemaligen FBI-Mann sofort identifiziert hatte?
Lastete so viel Schuldgefühl auf Longworth, daß von seinem eigenen Interesse nichts mehr übriggeblieben war? War sein Bedürfnis nach Rache so überwältigend, daß sonst nichts mehr für ihn Bedeutung hatte? Offenbar war dies der Fall. Er hatte nicht gezögert, MacAndrew dabei zu vernichten. Und weil Longworth das getan hatte, empfand Kastler keinerlei Skrupel dabei, ein Porträt des Mannes in seinen Roman einzubauen.
Meredith sammelt seine Beweise; sie sind abstoßend. J. Edgar Hoover hat einige tausend Akten über die einflußreichsten Leute der Nation gesammelt. Sie enthalten alle möglichen Gerüchte, Halbwahrheiten und Lügen. Und außerdem wimmeln diese Dokumente, da ja nur wenige Menschen Heilige sind, von dokumentierten Fakten belastender Natur. Sexuelle Besonderheiten und Abweichungen werden in allen Einzelheiten ausgebreitet, Dinge, deren Veröffentlichung Hunderte von Männern und Frauen vernichten könnte, die sonst verantwortungsbewußt, ja manchmal geradezu brillant handeln.
Die Existenz dieser Akten stellt eine Gefahr für das Land dar. Das Schrecklichste von allem ist, daß Hoover sie tatsächlich
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