Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
Stadt.
Sie öffnete die Tür; ihre großen, braunen Augen vermittelten gleichzeitig den Eindruck von Intelligenz und Wißbegierde. Wißbegierde, in die sich vielleicht Ärger mischte, trotz der Trauer, die aus ihrem Gesicht sprach. Sie war groß und anscheinend ähnlich reserviert wie ihr Vater, aber ihre Gesichtszüge waren die ihrer Mutter. Zerbrechlich, fein geschnitten, elegant, hochmütig. Ihr hellbraunes Haar war unauffällig geschnitten. Sie trug beigefarbene Hosen und eine gelbe, am Hals offene Bluse. Sie hatte dunkle Ringe um die Augen, sichtbare Zeichen ihrer Trauer, aber nicht einer Trauer, die zur Schau gestellt wurde.
»Mr. Kastler?« fragte sie direkt, ohne ihm die Hand anzubieten.
»ja«, nickte er. »Danke, daß Sie mich empfangen.«
»Sie klangen am Haustelefon sehr überzeugend. Bitte, treten Sie ein.«
Er betrat die kleine Wohnung. Das Wohnzimmer war modern und zweckmäßig, mit klaren, scharfen Linien, geprägt von Glas und Chrom. Es wirkte wie von einem Innenarchitekten gestaltet, eisig und kühl, und doch irgendwie durch die Anwesenheit der
Besitzerin bequem gemacht. Abgesehen von ihrer direkten Art ging von Alison MacAndrew eine Wärme aus, die sie nicht unterdrücken konnte. Sie deutete auf einen Sessel; er setzte sich. Sie nahm im gegenüber auf der Couch Platz.
»Ich würde Ihnen einen Drink anbieten, aber ich bin nicht sicher, ob ich möchte, daß Sie so lange bleiben.«
»Ich verstehe.«
»Trotzdem bin ich beeindruckt. Wahrscheinlich sogar etwas von Ehrfurcht erfüllt.«
»Du lieber Gott, warum?«
»Ich habe Ihre Bücher durch meinen Vater vor einigen Jahren >entdeckt‹. Sie sehen in mir eine Ihrer Verehrerinnen, Mr. Kastler.
»Um meines Verlegers willen wünsche ich mir, daß es noch zwei oder drei wie Sie gibt. Aber das ist nicht wichtig. Das ist nicht der Grund meines Hierseins.«
»Mein Vater war auch einer«, sagte Alison. »Er hatte Ihre drei Bücher; er hat mir gesagt, Sie seien sehr gut. Er hat Gegenschlag! zweimal gelesen. Er sagte, es sei erschreckend und höchst wahrscheinlich wahr.«
Peter war verblüfft. Der General hatte ihm dieses Gefühl nicht vermittelt. Keine Bewunderung, die über vages — sehr vages — Erkennen hinausging. »Das wußte ich nicht. Er hat nichts davon gesagt.«
»Er neigte nicht zu Schmeichelei.«
»Wir sprachen über andere Dinge. Dinge, die ihm viel wichtiger waren. «
»Das haben Sie am Telefon auch gesagt. Ein Mann hat Ihnen seinen Namen genannt und angedeutet, man habe meinen Vater gezwungen, aus der Armee auszuscheiden. Warum? Wie? Ich glaube, daß das lächerlich ist. Nicht, daß es nicht viele gegeben hätte, die wollten, daß er abtrat, aber sie konnten ihn nicht zwingen.«
»Was ist mit Ihrer Mutter?«
»Was wollen Sie wissen?«
»Sie war krank.«
»Ja, sie war krank«, nickte die junge Frau.
»Die Armee wollte, daß Ihr Vater sie wegschickte. Dazu war er nicht bereit.«
»Das war seine Entscheidung. Es ist müßig zu fragen, ob sie bessere Pflege erfahren hätte, wenn er das getan hätte. Er hat sich, weiß Gott, den Weg ausgewählt, der für ihn der schwerste war. Er hat sie geliebt, das war es, worauf es ankam.«
Kastler beobachtete sie scharf. Die harte Patina, die abgehackten, präzisen Worte waren nur ein Teil ihrer Fassade. Darunter, das spürte er, lag ein weicher Kern, war sie verletzbar, und sie gab sich große Mühe, das zu verbergen. Er konnte nicht anders; er mußte sich vortasten, das ergründen. »Sie klingen, als hätten Sie das nicht. Sie geliebt, meine ich.«
In ihren Augen blitzte kurz Ärger auf. »Meine Mutter wurde... krank, als ich sechs Jahre alt war. Ich habe sie eigentlich nie gekannt. Ich habe die Frau nie gekannt die mein Vater geheiratet hat, die, an die er sich so lebhaft erinnerte. Erklärt Ihnen das etwas?«
Peter blieb einen Augenblick stumm. »Es tut mir leid. Ich habe mich sehr dumm benommen. Natürlich erklärt es das.«
»Nicht sehr dumm. Ein Schriftsteller sind Sie. Ich habe fast drei Jahre mit einem Schriftsteller zusammengelebt. Sie spielen mit Leuten. Sie können einfach nicht anders.«
»Das will ich aber nicht«, widersprach er.
»Ich habe gesagt, Sie können nicht anders.«
»Kenne ich Ihren Freund?«
»Kann schon sein. Er schreibt für das Fernsehen; er lebt jetzt in Kalifornien. « Sie nannte keinen Namen. Statt dessen griff sie nach einem Päckchen Zigaretten und einem Feuerzeug, das neben ihr auf einem Tischchen lag. »Warum glauben Sie, daß man meinen Vater
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