Das katholische Abenteuer - eine Provokation
Unheilsgeschichte.
Die Engel jedoch haben die Beben der Zeit überlebt, auf der Säule des Paseo de la Reforma in Mexico City ebenso wie auf der Siegessäule in Berlin – golden, schön und ein wenig hochmütig. Warum, mögen die drei genannten Künstler gedacht haben, versuchen wir es nicht zur Abwechslung mit solchen Fragen, wie sie uns nur von Engeln gestellt werden können?
Es ist ja nicht so, als seien die Engel je verschwunden. Unter Nietzsches philosophischen Hammerschlägen, unter den Triumphen der Vernunft in Wissenschaft und Technik mag für viele der Gottesglaube ins Wanken geraten sein – die Engel aber haben überlebt, in den Gedichten Rilkes ebenso wie in der Popmusik oder in Kerouacs On the road: »Suddenly I had a vision of Dean, a burning shuddering frightful Angel, palpitating toward me across the road …«
Die Engel in Wim Wenders’ Film Der Himmel über Berlin sind Schutzengel. Sie bewahren die Menschen, die ihnen anvertraut sind, vor Gefahren und rühren damit gleichzeitig an einen vertrauten Kinderglauben und an ein uraltes Sehnsuchtsmotiv der Menschheit: den Wunsch nach Geborgenheit.
Wie stark dieser Glaube sein kann und wie sehr er die Menschen gerade in Grenzsituationen beflügelt, zeigt das Beispiel des deutschen Pastors Dietrich Bonhoeffer. Er schrieb zum Jahreswechsel 1944 die Verse: »Von guten Mächten wunderbar geborgen …« – und er schrieb diese Zeilen im Konzentrationslager Flossenbürg, kurz bevor er von den Nazis ermordet wurde. Engel geleiten die, die das Glück haben, an sie zu glauben.
Regisseur Wenders zeigt seine Engel in langen Einstellungen in den großen Lesesälen der Berliner Staatsbibliothek. Sie beugen sich über die Lesenden, dort, wo im Schweigen der Menschen eine himmlische Stille wächst. Auch diese Stille ist eine Grenzerfahrung. Es ist die Stille, in der Bücher gelesen und Träume gesponnen werden, in der Fantasien blühen und Herzen auffliegen – die Stille der Kunst.
Hier, in der Kunst, leben Engel seit Tausenden von Jahren, und sie werden weiterleben. Eine Geschichte der Engel ist zunächst in den Abbildungen der Kunst zu erzählen, in den Altarbildern der frühen Gotik ebenso wie in den Gemälden der Rennaissance oder den naiven Darstellungen der Tiroler Bauernmaler.
Ohne eine Einführung in die Angelogie kommen wir dabei nicht aus, denn die englischen Heerscharen sind zahlreich, und jeder einzelne Engel hat unterschiedliche Aufgaben und Funktionen wahrzunehmen und behauptet seinen eignen festen kosmologischen Standort. So gibt es für jeden Tag der Woche und für jede Stunde des Tages einen eigenen Engel.
In den prächtigen Hierarchien und komplizierten, ausgetüftelten Systemen der Engels-Ordnungen unterscheidet sich der Engel der Verkündigung, den Tony Kushner in seinem Stück imaginiert, erheblich von Harold Brodkeys Engel der Wahrheit. Wim Wenders führt seine Schutzengel namentlich ein: Sie heißen Damiel und Cassiel. Der sanfte Cassiel wird im Buch The Magus des Francis Barrett als Engel der Einsamen und Traurigen beschrieben. Damiel dagegen ist ein kriegerischer
Engel. Er wird in der Beschwörung des heiligen Schwertes angerufen.
Die Endungen der Engelsnamen -el weisen auf ihre hebräische Abstammung hin. El ist der Name des Gottes Kanaas, der auf den Gott Isra els übertragen wurde. Die Engel haben nicht nur hebräische Namen, sie sprechen auch Hebräisch, gemäß der Apokalypse des Paulus, in der es heißt: »Hebräisch, die Sprache Gottes und der Engel.«
Ohne dass damit das Geheimnis zerstört würde, das Engel bis zum heutigen Tage darstellen, lassen sich doch einige Entwicklungslinien in die Frühgeschichte der Menschheit zurückverfolgen. Darstellungen von übernatürlichen gefiederten Wesen gibt es bereits in den altägyptischen, sumerischen und persischen Kulturen. So war es etwa der persische Engel Vohhu Manah, der Zarathustra den Willen Gottes verkündete. Erst die Juden jedoch, die all diese verschiedenen Kultureinflüsse adaptierten, schufen ein System von geflügelten Gottesboten und schrieben es in der Thora fest. Die christliche Religion, die aus der jüdischen erwuchs, übernahm dieses System nahezu vollständig im ersten Jahrhundert. Im sechsten Jahrhundert nach Christus war es der Islam, der die himmlischen Engelsordnungen in sein Glaubenssystem aufnahm.
Während Juden und Christen zum Beispiel sieben Erzengel benennen, erkennt der Islam nur vier von ihnen an. Eines jedoch ist allen Systemen gleich, ob es
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