Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
haben und spießig aussehen. Du bist zu fett und ich hab zu viele Pickel.“
„Als ich nach Hamburg getrampt bin, hat mich ein Typ mitgenommen, der meinte, ich soll ihn anrufen, wenn ich Fotos machen lassen will. Was soll der sonst meinen außer Modeljobs?“
„Oh Mann, du bist echt total gestört, Julia. Kimberley, mein ich. Pornos natürlich. Der will kleine Kinder ficken, verstehste?“
Entsetzt richtete Kimberley sich auf. Sofort kamen die Bilder aus dem Kellerzimmer wieder hoch und sie wurde schlagartig nüchtern. Nein, so etwas Schreckliches wollte sie nie wieder erleben. Dabei war es ja noch nicht mal zum Allerschrecklichsten gekommen.
„Glaub ich nicht“, versuchte Kimberley sich selbst zu überzeugen. „Wollen wir einfach mal gucken, Lea? Ich kann ja eh nicht anrufen ohne Handy. Oder hast du eins?“
„Nee. Von mir aus. Wo wohnt denn der? Zeig mal die Karte her.“
Kimberley und Lea machten sich auf den Weg. Mit dem Bus konnte man besser schwarz fahren als mit U- oder S-Bahn. Wenn Kontrolleure kamen, sprang man einfach bei der nächsten Haltestelle auf die Straße und lief weg. Die Kids fuhren quer durch Hamburg.
„Scheiße, die kenn ich! Das ist unsere Nachbarin!“, stöhnte Kimberley gequält auf und duckte sich zugleich weg. „Da, die Schlanke mit dem großen Typen!“
„Du spinnst total“, lachte Lea, „das hatte ich am Anfang auch immer. Ich dachte bei jedem Zweiten, dass der mich holen will und zurück nach Hause schleppt. Oder ins Heim. Glaub mir, das lässt nach. Verfolgungswahn nennt sich das. Chill mal, wir sind längst vorbei.“
Vorsichtig wagte Kimberley einen erneuten Blick, aber Elaine und der fremde Mann waren nicht mehr zu sehen. Ob Mama ihre neue Freundin extra nach Hamburg geschickt hatte, um Kimberley zu suchen? Hoffentlich streunte hier nicht die halbe Veilchengasse rum!
„Ich bin mir sicher, Lea, das war unsere Nachbarin. Kannst du mir nachher helfen, meine Haare zu färben? Ich hab noch Zeug dafür, aber krieg das alleine nicht hin.“
„Später. Erst mal gucken, ob wir Topmodels werden. Dann dürfen wir uns nicht verändern, weil wir sonst die Verträge brechen.“
Kimberley kicherte. Lea war gar nicht so dumm und sie machte, was sie wollte. In ihrem alten Leben hatte sie immer gedacht, dass alle Penner und Punks nicht klar denken können. Das stimmte glücklicherweise überhaupt nicht. Es war auf der Straße wie zu Hause auch – nur freier. Scheiß auf die Schule, scheiß aufs Abitur. Wozu das alles? Kimberley wollte nie wieder zurück zu ihren alten Minderwertigkeitskomplexen, langweiligen Nachmittagen vorm Fernseher und ihren streitenden Eltern.
Auf der Visitenkarte stand als Name nur „Young Stars“. Die Mädchen schlichen um das Haus mit der angegebenen Adresse. Alles sah ganz normal aus. Keine roten Lampen, keine Nutten oder Drogendealer. Zwischen zwanzig weiteren Klingelknöpfen fand Kimberley keine „Young Stars“, aber dafür ein „Y.S.“.
„Das ist es bestimmt. Vielleicht machen die die Aufnahmen hier eher heimlich, damit ihnen die Models nicht die Bude einrennen“, überlegte sie.
„Klar. Und die Erde ist eine Scheibe. Na, drück schon drauf. Mal sehen, was passiert. Ich hab so einen Kohldampf, dass ich jetzt direkt froh drüber wäre, wenn mich ein Perverser einmal oben ohne fotografiert und dafür fünfzig Euro rausrückt.“
Hoffentlich meinte Lea das nicht ernst. Kimberley zitterte vor Aufregung, drückte dann aber entschlossen auf den Klingelknopf. Wenig später knarzte durch die Gegensprechanlage eine männliche Stimme. Kimberley konnte nicht erkennen, ob es der Typ aus dem Auto war.
„Ja?“
„Hier ist… Julia. Vom Trampen. Ich komm mit einer Freundin wegen der Fotos“, sprach sie laut und deutlich in die Anlage.
„Julia“, murmelte Lea leise, rollte mit den Augen und machte mit der rechten Hand Wischbewegungen vor ihrem Gesicht.
Die Tür summte und die Mädchen betraten das Haus. Der Flur war dreckig und runtergekommen. Hinter den einzelnen Wohnungstüren hörte man Kinderlärm und Schritte. Wenn das ihre Eltern sehen würden! Kimberley konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ihre Familie von der Existenz solcher Behausungen überhaupt wusste. Warum war sie bisher wie unter einer Käseglocke erzogen worden? Das machte sie richtig wütend. Sie stiegen bis in den vierten Stock die Treppen hoch, wo die Wohnungstür angelehnt war. Wieder das „Y.S.“ an der Klingel.
„Hallo?“, rief Kimberley zaghaft
Weitere Kostenlose Bücher