Das Kettenlädenmassaker
Omally, der die ganzen Geschichten bereits mehr als einmal gehört hatte, »daß von den zwanzig Burschen, mit denen du im Graben gelegen hast, nicht ein einziger genügend Grips besaß, um sich das Geld für ein Nachtasyl zu verdienen?«
»Ein zynischer Mistkerl ist doch immer dabei«, konterte der Alte Pete, »der nichts lieber tut, als eine guterzählte Geschichte zu verderben.«
Omally führte Jim zum Tresen.
»‘n Abend, Neville«, begrüßte er den Teilzeitbarmann. »Zwei Pints Large bitte, und ein ganzes Marmeladensandwich für meinen Freund hier, der den Tee verpaßt hat.«
Jim starrte Neville verdrießlich hinterher, als dieser sich an seine Arbeit machte.
»So«, sagte der Vollzeit-Teilzeitbarmann, als er seinen beiden Stammgästen die Gläser hinschob. »Laßt mich raten. Mein erster Gedanke war, daß ihr in eine Stampede geraten seid, aber das erscheint mir eher unwahrscheinlich. Also schätze ich, ihr habt eine Trainingsstunde beim Special Air Service genommen?«
»Wovon redest du denn da?« erkundigte sich Jim.
»Ihr beide«, erklärte Neville, »ihr beide steht völlig zerzaust hier vor mir, überall Fäden gezogen, Schnitte und Kratzer und blaue Flecken, ihr habt Reste von Brombeerdornen an den Jacken, und jeder von euch hat ein geschwollenes Auge.«
»Ich würde wirklich lieber nicht darüber reden«, sagte Jim.
»Meinetwegen. Aber verrate mir eins, John — bist du schon auf die eine oder andere sensationelle Enthüllung in Jims Buch gestoßen?«
Omally öffnete den Mund und wollte reden.
»Nein«, sagte Jim hastig. »Ist er nicht.«
»Schade«, sagte Neville. »Ich hatte gehofft, daß es vielleicht ein paar zusätzliche Pennies in meine Kasse bringen würde. Die Zeiten sind wie immer schlecht für den einfachen Schankwirt.«
»Die Leiden armer Schankwirte sind uns nur allzu bekannt«, entgegnete John. »Du bist uns allen ein Vorbild, Neville.«
»Hm«, machte Neville und wandte sich dann wieder seinen Gläsern und einem Poliertuch zu.
»Komm, wir gehen an einen Tisch«, schlug John vor und deutete zu einer diskreten Ecke. Jim folgte ihm widerwillig, stellte sein Bier und sein Marmeladensandwich auf die Tischplatte und setzte sich.
»Ich werde das hier jetzt essen und trinken, und dann gehe ich nach Hause und lege mich in mein Bett«, sagte Jim. »Das ist einer von den Tagen, die ich beim besten Willen nicht unnötig verlängern möchte.«
»Komm schon, Jim! Du kannst doch nicht wirklich aus einem Spiel aussteigen wollen, bei dem es soviel zu gewinnen gibt!«
»Ich sehe keine Karten auf dem Tisch, mit denen wir spielen könnten, John. Die Schriftrollen sind wahrscheinlich vor Hunderten von Jahren zu Staub zerfallen. Die gesamte Vorstellung ist absurd! Warum gibst du das nicht endlich zu?«
»Unsinn, blanker Unsinn. Betrachte die Sache doch als eine Art heiliger Queste. Wie bei Jäger des verlorenen Schatzes. «
»Man hat mir zwar zu mehr als einer Gelegenheit erzählt, daß ich eine verblüffende Ähnlichkeit mit Harrison Ford besitze, aber ich verspüre trotzdem nicht die geringste Absicht, meine Zeit mit derart dummen Unternehmungen zu verschwenden. Und jetzt erlaube bitte, daß ich esse und trinke und meiner Wege gehe.«
»Du besitzt wirklich einen sehr eigenartigen Sinn für Humor, Mister Pooley. Also schön, wie sollen wir denn deiner Meinung nach am besten an die Sache herangehen? Ein paar Metalldetektoren mieten, einen Wünschelrutengänger um Hilfe bitten …«
»Nein!« Jim schüttelte den Kopf, wischte sich Brotkrumen vom Kinn, leerte sein Bier und stand auf. »Ich bin nicht interessiert, John. Ich will nichts damit zu tun haben. Ich gehe nach Hause. Gute Nacht.« Und mit diesen Worten wandte er sich um und verließ den Fliegenden Schwan.
»In diesem Augenblick wurde ich wach«, hörte man den Alten Pete erzählen, »und mein großer Zeh war weg. Nur ein kleiner Zettel steckte am Stumpf, und darauf stand zu lesen: ›Bin einkaufen gegangen‹.«
John Omally nahm noch ein weiteres Pint, dann verließ auch er den Fliegenden Schwan. Was zum Kuckuck ist nur los mit diesem Jim Pooley? fragte er sich, während er ziellos durch die Straßen Brentfords wanderte. Hatte er denn allen Unternehmungsgeist verloren? Oder war er einfach mit der Zeit älter geworden?
Omally blieb wie angewurzelt stehen. Warum war ihm jetzt dieser Gedanke in den Kopf gekommen? Mit der Zeit … Er und Jim besaßen das gleiche Alter, und sie waren nur … Omally strich sich über das Kinn. Nur
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