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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Treibt unser Gespräch auf ein schonungsloses Geständnis zu? Nein, daran habe ich kein Interesse.)

    Ich leere mein Glas, warte, bis er nachgeschenkt hat, dann lege ich los:
    – Seit ich hier in Mandlica bin, habe ich mit sehr vielen Menschen zum Teil ausführlich gesprochen, das wissen Sie, Lucio. Durch diese Gespräche habe ich mir ein genaueres Bild von so manchen Personen und Sachverhalten gemacht. Mit Ihnen habe ich nicht gesprochen, aber ich habe auch von dem, was Sie tun und einmal getan haben, eine Vorstellung. Möchten Sie hören, wie diese Vorstellung aussieht?
    – Ja, sehr gerne, sprechen Sie nur und schonen Sie mich nicht. (Ich soll ihn nicht schonen? Wie kommt er darauf? Denkt er, dass ich ihm hart zusetzen werde? Aber wieso? Bitte, ich kann auch eine Spur Härte in dieses Gespräch bringen, schließlich hat er sich gegenüber Paula sehr schäbig benommen.)

    – Sie sind jetzt etwa so alt wie ich, nur ein wenig jünger, kaum der Rede wert. Sie haben zwei Brüder, und Ihre Eltern leben noch. Große Teile Ihres Einkommens gehen an Ihre Herkunftsfamilie, denn Ihre beiden Brüder verdienen nicht gut und haben nur Gelegenheitsjobs. Ihr Jugendtraum war es einmal, Ihre ganze Familie durch ein exklusives Restaurant zu ernähren und an diese Versorgungssstation eine eigene Familie mit Frau und Kindern anzuschließen. Sie haben viel getan, um ihn zu verwirklichen. Es ist ein ehrgeiziger, aber leider auch konventioneller Traum. Sie haben das Konventionelle an ihm übertrieben, indem Sie nur auf die traditionelle italienische Küche mit einigen wenigen sizilianischen Akzenten gesetzt haben. Da es in dieser Gegend weit und breit kein ähnlich ambitioniertes Restaurant gibt, waren Sie trotz Ihres fehlenden Wagemuts rasch erfolgreich.

    Sie haben Ihr Restaurant geschmackvoll eingerichtet und sich nach einer zukünftigen Frau umgesehen. Dabei sind Sie anfangs so vorgegangen, wie das ein gut aussehender Sizilianer mit Geschmack und Verstand in Mandlica tut: Er gründet einen Harem, lädt sich alle paar Tage eine andere Frau auf sein Zimmer und schenkt den lieben, alten Eltern Karten für Theater-oder Opernaufführungen samt Übernachtung in der Umgebung. (Der Harem! Jetzt taucht er auf! Dahin verlief also meine V orahnung. ) Sie waren kein Kostverächter, Sie haben
einer Menge junger Frauen einige schöne Stunden geschenkt, aber Sie sind nicht richtig fündig geworden. Da begegnete Ihnen Paula, und Paula war die Person, die Sie sich erträumt hatten: Kein braves sizilianisches Mädchen mit lästigem Anhang, sondern eine junge, gestandene Frau mit einem gehörigen Quantum Lebenserfahrung. Eine Frau, die darüber hinaus Italienisch spricht und keineswegs »Deutsch« wirkt, denn so etwas wäre natürlich unmöglich gewesen und hätte die Mandlicaner aus Ihrem Restaurant ferngehalten. Nun aber Paula! Eine schwarzhaarige, große Schönheit, eine Frau vom Schlage der Schauspielerin Irene Pappas, ein wenig sizilianisch, ein wenig griechisch, die ewige Sonne Siziliens hat ihre Haut dunkelbraun gefärbt! (Wie komme ich denn auf Irene Pappas? Vor Jahrzehnten, als junger Mann, habe ich sie in dem Film Alexis Sorbas gesehen. Sie machte einen unglaublich starken Eindruck auf mich. Ich kannte solche Frauen nicht, in Deutschland begegnete man diesem Typ Frau nirgendwo. Hätte ich gewusst, wo und wie man sie findet, wäre ich auf die einsamste griechische Insel gereist, um dort mit ihr Schafe und Ziegen zu züchten. Schafe und Ziegen? Aus Schafskäse, Lamm-und Ziegenfleisch bestand in den Jahren von Alexis Sorbas die in Deutschland angebotene, griechische Küche.)

    Sie haben aber den Fehler gemacht, Paula für eine weitere Nummer in Ihrem Harem zu halten. Paula sollte die Auserwählte, die Erste Frau unter den vielen anderen Nebenfrauen sein. Sie haben sich mit ihr verlobt und sie in ihr Küchenteam integriert. Überhaupt haben Sie versucht, Paula, so gut es eben geht, zu integrieren. Dagegen hat sie sich gewehrt, Sie wissen, warum, deshalb gehen wir an diesem Punkt nicht in die Details. Als Sie
erkannten, dass Paula für Sie zu stark war, haben Sie sich nach einer Variante umgeschaut. Sie haben sich für ihre Schwester Maria entschieden, das war die leichtere, bequemere Variante, und Paula wurde rasch abgeschoben. Mit Maria lief alles einfacher, besser, sie ist eine freundliche, hilfsbereite und vor allem muntere Person, die die Gäste bei Laune hält. Dann aber haben Sie erneut einen schweren Fehler begangen: Sie haben Ihren

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