Das Kind, Das Nicht Fragte
Harem nicht aufgegeben, sondern weiter den jungen Sultan gespielt, während Ihre alten Eltern für die Dauer Ihrer Vergnügungen weiter auf Kunstreise oder in den Schlaf geschickt wurden. (Jetzt kommen zum ersten Mal die Drogen ins Spiel. Stimmt das? Widerspricht er jetzt heftig? Im Grunde müsste er mir an genau dieser Stelle zum ersten Mal an den Kragen gehen.)
Ich mache eine Pause und nehme einen großen Schluck Wasser, ich will ihm ausreichend Gelegenheit geben, mir an den Kragen zu gehen . Ich schaue ihn nicht an, ich warte, dass er jetzt etwas sagt. Er räuspert sich und fragt nach einiger Zeit:
– Was meinen Sie damit, dass meine Eltern in den Schlaf geschickt wurden?
– Lucio, das ist ganz einfach, und Sie wissen doch, was ich meine. Sie haben ein Drogenproblem. Seit Sie sich Gedanken über Ihr Restaurant gemacht haben, haben Sie ein massives Drogenproblem. Einige Mittelchen haben Sie an so manchem Abend Ihren Eltern als Schlaftrunk verabreicht, das meiste aber haben Sie selbst geschluckt. Sie sprechen mit niemandem darüber, selbst mit Maria nicht. Maria ahnt es, schweigt aber seit langem. Sie beide haben keine Kinder, weil Maria keine Kinder mit einem Mann haben möchte, der Drogen nimmt. Schauen Sie sich an, wie Sie
während der Mahlzeiten durch dieses Restaurant gleiten, ja, schauen Sie einmal in die Spiegel. Und wer begegnet Ihnen da? Ein nach außen hin soft durch den Raum gleitender, innerlich aber sehr unsicher wirkender Restaurantbesitzer mit weit aufgerissenen, feuchten Augen! Jeder, der nur ein wenig von Drogen versteht, ahnt, was mit Ihnen los ist! Und jeder halbwegs Eingeweihte weiß, warum Sie sogar an manch warmen Tagen graue Pullover tragen. Graue, Lucio, ausgerechnet graue! (So, das reicht. Mehr möchte ich eigentlich gar nicht auftischen. Ich habe ihm gesagt, was ich von ihm halte: Wenig, sehr wenig, fast nichts. Das Wenige besteht aus seinem unleugbaren Charme. Er kann charmant sein, ja, das kann er, und so etwas ist eben auch eine Qualität und eine Leistung.)
Eigentlich will ich jetzt fort, der Champagner schmeckt mir nicht mehr. Ich leere noch ein Glas Wasser und tue so, als wollte ich die Sache beenden: Ich schlage mit beiden Fäusten auf den Tisch, fest und entschieden. Es wirkt wie ein Gongschlag, der kleine Fight ist zu Ende. Da höre ich Lucio sagen:
– Was Sie sagen, stimmt. Das Schlimmste ist, dass Maria und ich keine Kinder haben, weil alles so schiefgelaufen ist. Ich habe mich immer sehr nach Kindern gesehnt, aber Maria hat gespürt, dass ich ihr nicht ganz gehöre. Ich hatte viele Affären, das ist richtig, und schließlich kam noch die Sache mit den Drogen hinzu. Wir leben nicht mehr in einem gemeinsamen Haus, im Grunde leben wir längst getrennt und wahren nur noch die Form.
– Und Ihr Harem? Existiert der noch immer?
– Nein, den gibt es zum Glück jetzt nicht mehr.
– Aber die Drogen – die gibt es?
– Ja, die gibt es.
– Was ist mit Maria? Sie ist eine schöne, attraktive Frau. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie in Ihrer Pension verkümmert.
– Nein, das tut sie auch nicht. Sie schläft manchmal mit Gästen, sie hat schon vor Jahren ihren eigenen Harem eröffnet. Sie sollten das eigentlich wissen.
– Wieso sollte ich?
– Man erzählt sich in Mandlica, dass auch Sie zu Marias Harem gehören.
– Ich?! Nein, das stimmt nicht, Sie können mir glauben.
– Ich glaube Ihnen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie allein leben. Sie haben bestimmt eine Beziehung, man redet auch sonst allerhand über Sie.
– Und was redet man noch?
– Dass Sie hinter Adriana Bonni her sind!
– Das ist ein Witz. Adriana Bonni ist etwa zwanzig Jahre jünger als ich.
– Aber wer ist es dann? Oder gibt es diese Frau nicht?
– Doch, es gibt sie. Aber ich sage Ihnen nur, wer es ist, wenn Sie schweigen. Tun Sie das aber nicht …
– Schon gut, Signor Merz, übertreiben Sie es jetzt nicht! Ich bin nicht gerade ein Heiliger, aber ich halte mein Wort.
– Nun gut, dann sage ich Ihnen, mit wem ich zusammenlebe, ohne dass es in Mandlica jemand weiß: Ich lebe mit Paula zusammen.
Er starrt mich an, als hätte ich gerade ein Wunder vollbracht. Nicht im Geringsten war er auf diese Wende der Dinge gefasst. Er ist so verwirrt, dass ich schon vor mir sehe, wie er sich in wenigen Minuten zur Beruhigung
an seinen Drogenschränkchen bedient. Ihm fällt nichts mehr ein, er denkt nicht einmal mehr darüber nach, was er noch sagen könnte. In seinem Kopf treibt ein
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