Das Kind, Das Nicht Fragte
allein? Ich bin sehr gespannt und erfahre eine durch und durch kuriose Geschichte. Es geht nämlich um niemand anderen als Antoine Griolet, den französischen Finanzbeamten, dem ich zusammen mit seiner Frau an einem unvergesslichen Tag einmal einen Vortrag über Leben und Werk des Nobelpreisträgers gehalten habe. Monsieur Griolet war aber anscheinend nicht nur wegen seines Hobbys ( Der Nobelpreis und seine Preisträger ) in Mandlica, nein, er war auch aus beruflichen Gründen hier. In seinem Berufsalltag arbeitet Monsieur nämlich unter anderem für eine kulturelle Institution der EU, in der er die ehrenvolle Aufgabe hat, Frankreichs Interessen zu vertreten. Diese Institution hat nun über jene Gelder zu entscheiden, die Enrico Bonni für das große Mandlicaner Bauprojekt beantragte. Bonni hat lange mit Griolet gesprochen, er hat ihn ( für eine angenehme Ferienwoche im besten Hotel der Stadt, eine hübsche Yacht aus unserem Yachthafen würden wir Ihnen und Ihrer geschätzten Gemahlin natürlich zusätzlich zur Verfügung stellen) nach Mandlica eingeladen, und er hat überhaupt alle Geschütze aufgefahren, die Griolet beeindrucken können. Angeblich war Griolet auch wahrhaftig
beeindruckt ( und spielt jetzt bereits mit dem Gedanken, hier bald Ferien zu machen) , angeblich äußerte er aber auch in einem entscheidenden Punkt seine Kritik: Antoine Griolet hält Matteo Volpi nicht für die ideale Person, das Projekt bei den Gremien der EU zu präsentieren.
– Aber warum denn nicht? frage ich nach (während ich einen kleinen Pastaauflauf mit Seeigelfleisch und Thunfischrogen esse).
– Monsieur Griolet hält unseren freundlichen Volpi für zu zurückhaltend und, na ja, für zu bescheiden. Er glaubt, Volpi könne bei den Leuten der EU nicht richtig glänzen, rhetorisch nicht und von den Kenntnissen her auch nicht. Volpi sei der typische italienische Bürokrat, gediegen und konservativ bis auf die Knochen, aber ohne Schwung und Elan. Was meinen Sie, Sie haben inzwischen doch auch mit Volpi gesprochen, was denken Sie über ihn?
– An Griolets Überlegungen ist etwas dran, sage ich (und nehme einen gut gekühlten Schluck Weißwein aus den Lavaregionen des Ätna). Andererseits könnte Volpis Gediegenheit und sein enormer Fleiß aber auch Eindruck machen, das weiß man nie. Es kommt auf die Zusammensetzung der Gremien an. Griolet soll uns die Leute, die über das Projekt abstimmen, einmal nennen und zu jeder Person einen kurzen Kommentar abgeben. Dann wissen wir, ob wir Volpi in diese Raubtier-Arena schicken oder lieber nicht.
Ich trinke zu rasch, der Weißwein ist vorzüglich. Ich wechsle zu Mineralwasser und trinke wieder zwei Gläser direkt hintereinander. Das Gespräch verursacht in
mir einen Durst, der auf meinen Schwung und meine Lust, eine seltene, herrliche Rolle zu spielen, reagiert. Ist das alles hier in Lucios Restaurant nicht bestes Kammertheater? Und bin ich in diesem Stück nicht die einzige Figur, die nicht auf eine Rolle festgelegt ist? Ich spreche bereits von einem wir und von einem uns, und meine Kommentare lassen an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Und so rede ich Matteo Volpi vorläufig einmal ins zweite Glied und mache ganz vorn, im ersten Glied, Platz für eine neue Führungspersönlichkeit. Ich warte auf das Wort, ich sehne mich danach, dass Enrico Bonni es ausspricht, und dann tut er es wirklich.
– Im schlimmsten Fall, den ich aber keineswegs herbeireden möchte, brauchen wir eine neue Führungspersönlichkeit, sagt er und schaut mich ganz direkt an.
– Wir sollten zumindest eine in der Reserve haben, damit wir im Notfall nicht in die Verlegenheit kommen, lange nach einer suchen zu müssen.
– Exakt! sagt Enrico Bonni und streckt seinen perfekt durchtrainierten Marathonkörper durch, den heute ein weißes Baumwollhemd mit den feinsten blauen Streifen der Welt schmückt. Er schenkt etwas Wein nach, er räuspert sich und sagt plötzlich sehr leise:
– Ich denke, Sie wären der richtige Mann für diese Aufgabe. Ein begnadeter Wissenschaftler wie Sie und dazu eben kein Sizilianer, sondern ein Deutscher! Das macht Eindruck, das erweckt den Anschein, als hätten wir eine unabhängige Person des Geisteslebens gewählt, die den Blick frei hat und in keinem Moment korrumpierbar ist. Sie wissen, wovon ich spreche.
Ich tue überrascht und gerührt und bedanke mich bereits, ohne dass ich zugesagt hätte. Ich genieße diesen Moment ( und das ist mein Ernst) als einen großen Moment in
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