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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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hat.
    – Wunderbar! Genau so jemanden bräuchte ich. Ich stelle Dich als Mitarbeiter ein, ja, soll ich das tun? Aber erst, wenn Du so weit bist und etwas Theorie gelernt hast. Einverstanden? Wir planen den Coup zusammen, aber ich behalte das Heft in der Hand.
    – Ich werde eine ethnologische Kulinarik schreiben, sage ich.
    – Ach was, hör bloß damit auf!
    – Eben nicht, gerade nicht! Ich fange gerade erst damit an.

17
    W IR SCHLAFEN nun immer wieder auf Paulas Landgut. Manchmal fahren wir schon am frühen Nachmittag hin, und dann arbeite ich dort, und wir gehen mehrmals am Tag ins Meer. Paula übersetzt Erzählungen des sizilianischen Schriftstellers Luigi Pirandello, und manchmal liest sie mir nach dem Abendessen aus ihren Übersetzungen vor. Fast jeden Tag blättere und lese ich in einer griechischen Grammatik und lerne griechische Vokabeln wie ein Schüler, der sich auf eine Prüfung vorbereitet. Ich komme ganz gut voran, Paula korrigiert meine Aussprache und überlässt mir ein griechisches Sprachprogramm auf CD, so dass ich häufig mit Kopfhörern am Strand sitze und beim Blick auf die Weite des Meeres griechische Sätze höre. Da die Kopfhörer alle anderen Geräusche fernhalten, scheinen die griechischen Stimmen direkt vom Himmel oder aus dem leuchtenden Meer zu kommen, es ist ein seltsamer, theatralischer Eindruck.

    Alberto ist nun ganz sicher, dass Beniamino sich mit einer Sizilianerin zusammengetan hat. Hinter meinem Rücken streckt er seine Fühler im ganzen Ort aus, gerät dabei aber nur an Gerüchte, die er selbst rasch verwirft. Adriana Bonni, die schöne Tochter des Bürgermeisters? Nein, das ist einfach unmöglich. Eine Enkelin Ricarda Chiarettas, die in einem Nachbarort wohnt und zusammen mit mir einmal in einem Café gesehen wurde? Sehr unwahrscheinlich. Maria wäre die Person, von der er etwas
erfahren könnte, aber Maria hält im Moment noch dicht und spricht mit niemandem über die Beziehung ihrer Schwester.

    Na so was, sagt sie zu mir bei einem Frühstück im Innenhof, mit allem hätte ich gerechnet, aber damit nicht! Meine Schwester hat eine Beziehung, und dazu noch eine richtige, mit einem richtigen Mann! Früher hatte sie nur Beziehungen mit Kerlen aus ihrer Literatur, und dann ist sie mit ihrer todschicken Vespa durch halb Sizilien gefahren und hat sich für ein paar Tage an den Orten einquartiert, wo diese Schriftsteller einmal gewohnt haben. Am schlimmsten war es mit Tomasi di Lampedusa, den hat sie am heftigsten verehrt, und es war ein Unglück für alle, dass sein Roman »Der Leopard« längst übersetzt war und dass Lampedusa außer diesem Roman nur sehr wenig geschrieben hat. Nur ein paar Briefe konnten noch übersetzt werden, und mit diesen Briefen hat sie sich dann Wochen beschäftigt, als seien sie wer weiß wie schwer zu übersetzen. Und dann erst der Film! Früher lief die Verfilmung von »Der Leopard« alle paar Wochen im einzigen Kino von Mandlica, ganze Schulklassen gingen hinein und mussten sich den Film ansehen. Die Kinder langweilten sich, der Film war ja nicht spannend, und nach einer Weile waren die Kinder es leid, mehr als zwei Stunden Burt Lancaster dabei zu beobachten, wie er einen sizilianischen Adligen spielt. Sogar unsere Bauern gingen manchmal ins Kino, um Burt Lancaster in dieser Rolle zu sehen, sie lachten sich tot, weil Burt Lancaster einfach keinen sizilianischen Adligen hergibt, höchstens einen Westernhelden im Stil von »Spiel mir das Lied vom Tod«, in dem man sich die Gamaschen putzt, bevor man ein paar Leute erledigt.

    Paula aber saß unter den Schulkindern oder unter unseren Bauern, und sie lachte keinen Moment. Alles in diesem Film war heilig, weil es mit Tomasi di Lampedusa zu tun hatte, und wenn Tomasi hier in Mandlica vorbeigekommen wäre, hätte sie sich ihm zu Füßen geworfen. Du hast einen Vater-Komplex, habe ich damals gesagt, vielleicht stimmte das auch nicht, aber nein, sie hatte wahrscheinlich doch keinen Vater-Komplex, das war Unsinn, aber es stimmte, dass sie einen Lampedusa-Komplex hatte, wie sie übrigens auch eine abartige Zuneigung zu diesem Nobelpreisträger hat, der hier in Mandlica geboren wurde. Alles ältere Herren und alle schon eine Weile tot und alles große Dichter, nun mach Dir bitte darauf mal einen Reim! Ich jedenfalls bin nie dahintergekommen, aber vielleicht kommst Du ja dahinter, was mit meiner Schwester in Sachen Literatur los ist.
    – Paula ist gern ins Kino gegangen, Maria?
    – Woher weißt Du denn das nun

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