Das Kind der Rache
seinen
Tribut. Es war ein Fehler, daß ich Alex gestern nicht
hierbehalten habe, dachte er. Er mußte den Jungen zurückbekommen, koste es, was es wolle. »Einverstanden«, sagte
er. »Wann kommen Sie?«
Marsh warf einen Blick auf seinen Terminkalender. »In ein
paar Stunden.«
»Also gut. Sobald Sie die Therapie kennen, werden Sie mir
recht geben, daß Alex wieder in die Klinik gehört.« Es klickte
in der Leitung, Dr. Torres hatte aufgelegt.
Alex blieb am Gartentor stehen. Nachdem er eine Weile die
mit wildem Wein bewachsene Mauer betrachtet hatte,
überquerte er den Patio, dann betrat er das Haus. Es war
menschenleer, ganz wie er gehofft hatte. Er ging in die Garage
und begann, die Kisten zu durchsuchen, die dort an der Wand
standen. Jede Kiste trug eine gut lesbare Aufschrift, und
deshalb brauchte Alex nicht lange, bis er gefunden hatte,
wonach er suchte.
Die Heckenschere lag an der Stelle, wo er sie vermutet hatte.
Er nahm sie aus der Kiste, verließ die Garage und ging zur
Mauer. Er durchtrennte die Reben mit raschen Schnitten. Eine
geflieste Fläche, mit Staub bedeckt, kam zum Vorschein.
Die Mauer sah genauso aus, wie er sie sich vorgestellt hatte,
als er aus der Klinik entlassen wurde.
Er ging in die Garage zurück und öffnete die zweite Kiste. Er
entnahm ihr das Gewehr seines Vaters und fünf Patronen. Mit
der Waffe in der Hand verließ er die Garage und begann den
mühsamen Anstieg zur Hazienda...
Für Ellen war es ein unangenehmer Vormittag gewesen. Als sie
auf dem Heimweg den Hacienda Drive entlang fuhr, dachte sie
mit Grauen an die Tage, die ihr bevorstanden.
Früh am Morgen hatte sie Carol Cochran besucht. Beide
hatten geweint. Und dann hatten sie über all die Dinge gesprochen, die für Valerie Bensons Begräbnis geklärt und
erledigt werden mußten. Über allem hing die Frage, wer
Valerie getötet hatte.
Carol hatte an diesem Morgen etwas Merkwürdiges gesagt.
»Ist dein Sohn wirklich auf dem Wege der Besserung? Lisa hat
mir berichtet, er sagt so merkwürdige Dinge.«
Ellen wich der Frage aus. »Ich kann verstehen, daß Lisa sich
wegen Alex Sorgen macht. Ich glaube, sie hat sogar etwas
Angst vor ihm.«
Die Beziehungen zwischen den beiden Familien, das spürte
Ellen ganz deutlich, waren schlecht. Sie würden noch kühler
werden, wenn Valerie erst einmal beerdigt war.
Sie war vor ihrem Haus angekommen und wollte in die
Einfahrt einbiegen, als sie mit ganzer Kraft auf die Bremse trat.
Der Weg vor ihr war mit abgeschnittenen Reben bedeckt. Die
Mauer, die zwei Stunden zuvor noch mit wildem Wein
bewachsen gewesen war, hatte sich in eine kahle, staubige
Fläche verwandelt.
»Das ist ja unglaublich«, flüsterte Ellen. Sie lenkte den
Wagen in die Einfahrt und hielt an. Ein paar Sekunden blieb sie
benommen hinter dem Steuer sitzen, dann stieg sie aus und
ging ein paar Schritte zurück, um sich den Schaden, den
irgendein Unbekannter angerichtet hatte, aus der Nähe
anzusehen.
Warum? Warum hatte der Unbekannte die Reben abgeschnitten? Und wer? Es würde Jahre dauern, bis das wunderschöne Grün wieder die Mauer bedeckte. Sie betrachtete die
ins Mauerwerk eingelassenen Fliesen, als sie eine Stimme
hinter sich hörte. Erschrocken fuhr sie herum. Es war Sheila,
die Nachbarin. Sheila Rosenberg.
»Sheila«, sagte Ellen. »Sieh dir das einmal an!«
Sheila lächelte. »So ist das, wenn man jungen Leuten irgendeine Arbeit anvertraut«, sagte sie.
Ellen verstand jetzt gar nichts mehr. »Junge Leute? Arbeit?
Wovon sprichst du?«
»Ich meine, daß sie die Arbeit nie zu Ende machen.« Sie
seufzte. »Aber du mußt selbst wissen, wie dir dein Garten am
besten gefällt. Was mich angeht, ich werde das Grün an der
Mauer sehr vermissen, besonders im Sommer.«
»Würdest du mir einmal sagen, was hier los ist?« sagte Ellen
zornig.
Das Lächeln verschwand aus Sheilas Gesicht. »Es war
Alex«, sagte sie. »Hast du ihm denn nicht gesagt, er soll die
Reben stutzen?«
In Ellens Kopf jagten sich die Gedanken. Alex? Warum in
aller Welt sollte Alex so etwas getan haben? Ihr Blick irrte zur
Mauer und blieb auf den Fliesen haften. »Sheila«, sagte sie,
»wußtest du, daß Fliesen in das Mauerwerk eingelassen
waren?«
Die Nachbarin schüttelte den Kopf. »Woher denn? Die
Reben wuchsen so dicht, daß man die Mauer selbst nie sehen
konnte.« Sie trat näher, um den Schaden zu prüfen. »Es ist
vielleicht nicht so geworden, wie du es dir vorgestellt hast«,
sagte sie. »Aber
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