Das Kind der Rache
Sirenen der Streifen- und Krankenwagen. Zuckende
Lichter. Menschen, die am Straßenrand standen und in den
düsteren Abgrund hinabspähten...
Nach endlos scheinenden Minuten dann Alex, der auf einer
Bahre den Hang heraufgetragen wurde...
Alex?
Der dort auf der Trage lag, war nicht mehr Alex.
Lisa hatte den blutverschmierten Jungen angestarrt, bis Kate
sie von der Bahre wegführte.
Eine männliche Stimme, die wie aus einem Nebel zu
kommen schien.
»Heißt du Lisa Cochran?«
Sie nickte. Vor ihr stand ein Streifenpolizist. Lisa wunderte
sich, daß er überhaupt nicht wütend war.
»Du kannst hier nicht auf der Erde sitzenbleiben«, hörte sie
ihn sagen. »Wir fahren dich ins Medical Center.« Er beugte
sich über sie und gab ihr die Hand. »Kannst du aufstehen?«
»Ich...«
Sie versuchte sich zu erheben, aber es gelang ihr nicht.
Starke Arme stützten sie. Wenig später saß sie auf dem
Rücksitz des Streifenwagens und schluchzte.
Medical Center, Notaufnahme. Der Lautsprecher, der mit dem
Funkgerät der Klinik verbunden war, begann zu krächzen.
»Wagen eins. Wir sind gleich da. Ich gebe Ihnen jetzt den
Namen des Verletzten durch.« Der Tonfall wurde weicher. »Es
ist... Alex Lonsdale.«
Dr. Lonsdale stand da und starrte auf den Lautsprecher. Er
weigerte sich zu glauben, was er gehört hatte. Benommen
tastete er nach einem Stuhl und setzte sich.
»Nein«, flüsterte er. »Nicht Alex...«
Barbara Fannon gab einer der Krankenschwestern ein
Zeichen. »Rufen Sie Dr. Mallory an, er soll sofort kommen.«
Sie umrundete ihren Schreibtisch und legte Dr. Lonsdale die
Hand auf die Schulter. »Vielleicht haben sich die Polizisten bei
der Identifizierung geirrt«, versuchte sie ihn zu trösten. Aber
sie wußte, die Polizisten hätten den Namen nicht
durchgegeben, wenn sie sich ihrer Sache nicht ganz sicher
gewesen wären.
»Wie soll ich das Ellen begreiflich machen?« stammelte Dr.
Lonsdale. »Sie hatte eine Vorahnung...«
»Kommen Sie, Dr. Lonsdale.« Sie sprach jetzt in dem
gleichen Ton, den sie bei den Angehörigen der Patienten
anzuschlagen pflegte. »Es ist besser, wenn ich Sie jetzt in Ihr
Büro bringe.«
»Nein!« protestierte Marsh. Die Sirene des Krankenwagens
war zu hören. »Er ist mein Sohn...«
»Genau das ist der Grund, warum Sie sich jetzt in Ihr Büro
begeben werden. Dr. Mallory wird gleich hier sein. Bis er
kommt, wird Dr. Cohen das Nötige tun.«
»Aber Dr. Cohen ist nur Assistenzarzt«, stammelte er.
Sie führte ihn aus der Notaufnahme. »Benny ist der beste
Assistenzarzt, den wir je hatten, das haben sie selbst gesagt.«
Die Türen der Notaufnahme schwangen auf, Alex Lonsdale
wurde hereingetragen. Barbara war es gelungen, ihren Chef in
den Flur zu bugsieren.
»Und jetzt bleiben Sie in ihrem Büro, bis ich Sie rufe«, sagte
sie streng. »Ich weiß, was in einer solchen Situation zu tun ist.«
Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Wir können Sie jetzt
einfach nicht in der Notaufnahme brauchen, verstehen Sie?«
Marsh schluckte. »Ich werde Ellen anrufen und ihr sagen...«
»Das werden Sie nicht tun«, fiel ihm Barbara ins Wort.
»Mixen Sie sich einen Drink, und warten Sie. Ich komme in
fünf Minuten zu Ihnen und sage Ihnen, wie es aussieht. Und
nun verschwinden Sie!« Sie verarztete ihm einen liebevollen
Stoß, dann verschwand sie in der Notaufnahme.
Marsh stand auf dem Flur und versuchte, seine Gedanken zu
ordnen.
Er wußte, daß Barbara völlig richtig gehandelt hatte.
Plötzlich kam er sich unendlich hilflos vor. Langsam ging er
auf die Tür seines Büro zu.
Maria Torres war in ihrem Häuschen hinter der Missionsstation
angekommen. Sie schloß die Läden und legte sich zu Bett.
Sie war müde vom Heimweg.
Damit niemand sie sah, hatte sie die Straße gemieden und
den Weg durch die Senke gewählt. Und dann waren die
Streifenwagen der Polizei gekommen. Das Geheul der Sirenen
hatte die Nacht erfüllt. Maria hatte sich im Gebüsch verstecken
müssen, damit die Polizisten mit ihren Taschenlampen sie nicht
entdeckten.
Aber nun war alles gut.
Sie war wieder in ihrem Häuschen. Niemand hatte sie
gesehen. Es bestand keine Gefahr, daß sie ihre Stellung bei den
Gringos verlieren würde.
Dieses Mal war der Schwarze Peter bei den Amerikanern
gelandet.
Aus Marias Sicht war der furchtbare Unfall, der geschehen
war, ein Segen. Zahllose Stunden ihres Lebens hatte sie zu Gott
gebetet, daß Unheil über die Gringos kommen möge. Heute
nacht waren ihre Gebete erhört worden.
Morgen würde
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