Das Kind der Rache
ergriff eine Taschenlampe, stieg
aus und kletterte den Abhang hinunter. Thomas Jefferson
Jackson, sein Streifenkollege, folgte ihm. Er war auf wenige
Meter an das Wrack herangekommen, als er einen Schatten
sah, der sich bewegte. Der Strahl seiner Taschenlampe erfaßte
das Gesicht eines Jungen, den Finnerty auf sechzehn oder
siebzehn Jahre schätzte.
»Du solltest nicht näher an den Wagen herangehen, mein
Junge«, sagte Finnerty. »Was hier zu tun ist, mußt du uns
überlassen.«
»Aber...« stotterte der Junge.
»Du hast gehört, was der Sergeant gesagt hat«, schnitt ihm
Jackson das Wort ab. »Geh jetzt auf die Straße zurück, und
behindere uns nicht bei der Arbeit.« Er richtete den Strahl
seiner Lampe nach oben, auf eine Gruppe junger Leute, die am
Straßenrand standen und in den Abgrund hinabstarrten. Die
meisten hatten nasse Haare. »Sind das deine Freunde?«
Der Junge nickte.
»Dann kommt ihr wahrscheinlich von irgendeiner Party. Wie
dem auch sei, geh jetzt zur Straße zurück. Wenn du noch etwas
zu sagen hast, kannst du's später tun.«
Der Junge begann den Hügel hinaufzuklettern. Jackson
folgte Finnerty, der auf das Wrack zuging. Er hörte Wagentüren klappen und glaubte zu sehen, wie Männer die
Böschung herabkamen.
Der Wagen lag auf der Seite. Er war so zertrümmert, daß die
Automarke nicht mehr zu erkennen war. Offensichtlich hatte
sich das Fahrzeug mehrere Male überschlagen, bevor es von
einem Felsblock gestoppt worden war.
»Der Fahrer ist noch drin«, sagte Finnerty. Wie immer, wenn
Jackson mit den verstümmelten Opfern eines Autounfalls zu
tun hatte, verspürte er aufkommenden Brechreiz.
»Lebt er noch?« fragte er.
»Keine Ahnung«, grunzte Finnerty. »Kann mir allerdings
nicht vorstellen, wie man so was überleben kann.« Er machte
eine Pause, weil er sich gerade daran erinnert hatte, wie
empfindlich sein Kollege auf den Anblick von Leichen zu
reagieren pflegte. »Bist du okay?«
»Ich übergebe mich später«, sagte Jackson. »Ist außer dem
Fahrer noch jemand im Wagen?«
»Nein. Wäre natürlich möglich, daß der Beifahrer hinausgeschleudert worden ist, weil er keinen Sicherheitsgurt
trug.« Er richtete seine Taschenlampe auf Jacksons
schwitzendes Gesicht. »Willst du mir helfen, den Fahrer
rauszuziehen, oder würdest du lieber das Gelände nach anderen
Opfern absuchen?«
»Ich helfe dir, jedenfalls bis die Sanitäter kommen.« Jackson
beugte sich vor und betrachtete den reglosen Körper, der über
dem Steuerrad lag. Der Kopf war blutverschmiert. Finnerty
hatte recht. Wenn der Fahrer nicht beim Aufprall des Wagens
schon tot gewesen war, so war er in der Zwischenzeit sicher
verblutet. Jackson biß die Zähne zusammen und half seinem
Kollegen, den Sicherheitsgurt aufzuschneiden.
»Wir dürfen ihn nicht bewegen«, sagte einer der beiden
Sanitäter, die mit ihrer Tragbahre den Abhang hinuntergeklettert und hinter die Polizisten getreten waren.
»Falls es Sie interessiert, wir machen so was nicht zum
erstenmal«, sagte Finnerty beleidigt. »Ich habe außerdem nicht
den Eindruck, als ob diesem armen Menschen noch irgend
jemand helfen kann.«
»Lassen Sie das uns entscheiden«, sagte der Sanitäter. Er
schob Jackson zur Seite. »Ist schon bekannt, wie der Verletzte
heißt?«
»Nein«, gab Jackson zur Auskunft. »Wir können das über
das Nummernschild herausfinden, sobald wir wieder oben auf
der Straße sind.«
Mit großer Vorsicht legten die beiden Sanitäter Alex auf die
Tragbahre. »Er lebt noch«, hörte Jackson einen der beiden
sagen. »Aber wir müssen ihn so schnell wie möglich ins
Krankenhaus bringen.«
Zu viert schleppten sie die Trage mit dem Verunglückten
den Hang hinauf.
Die Jungen und Mädchen, die oben auf der Straße warteten,
beobachteten schweigend, wie die vier Männer mit der Bahre
sich näherten. Lisa Cochran schwankte, sie mußte sich auf
Kate stützen.
»Es sieht so aus, als ob er noch lebt«, flüsterte Bob Carey.
»Sie haben ihm einen Kopfverband angelegt.«
Die Unfallhelfer waren auf der Straße angekommen. Sie
schoben die Trage mit dem Verletzten in den Krankenwagen.
Sekunden später war nur noch das Heulen der Sirene zu hören,
die den Wagen bei seiner Fahrt durch die Nacht begleitete.
Ein Lautsprecher unterbrach die Stille, die auf der Unfallstation des Medical Center herrschte.
»Hier Wagen eins. Der Verletzte ist ein junger Mann.
Armbruch, gebrochene Rippen, Kopfverletzungen. Schwere
Blutungen.«
Dr. Lonsdale
Weitere Kostenlose Bücher