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Das Kind der Rache

Das Kind der Rache

Titel: Das Kind der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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ganz gesund werden?« beharrte Lisa.
»Wir müssen abwarten.«
»Ich bleibe hier«, verkündete Lisa.
»Es wäre besser, wenn du jetzt nach Hause gehst und etwas
schläfst«, schlug Barbara vor. »Ich sorge dafür, daß du
angerufen wirst, wenn sich hier eine neue Situation ergibt.«
»Nein«, sagte Lisa. »Ich möchte bei ihm bleiben, für den
Fall, daß er mich braucht.« Ein bittender Blick. »Es wäre doch
möglich, daß er plötzlich aufwacht, oder?«
Barbara war drauf und dran, dem Mädchen die Wahrheit zu
sagen. Aus medizinischer Sicht war Alex ein hoffnungsloser
Fall. Aber sie beschloß, ihr Wissen für sich zu behalten. Es gab
einen Unterschied zwischen dem ärztlichen Personal und den
Angehörigen eines Kranken. Wer in der Klinik arbeitete, ging
am Ende der Schicht nach Hause und ließ die Probleme hinter
sich.
Ganz anders stellte sich die Situation für ein Mädchen wie
Lisa dar. Sie würde bleiben, solange nicht sicher war, daß Alex
überlebte.
Barbara hatte die Heimfahrt antreten wollen, aber sie änderte
ihren Entschluß. »Kommen Sie«, sagte sie zu dem Mädchen
und seinen Eltern. »Ich bringe Sie in das Büro von Dr.
Lonsdale.«
Sie bugsierte die drei in das leere Büro ihres Chefs. »Wenn
Sie schon die Nacht hier verbringen«, sagte sie, »sollen Sie es
möglichst bequem haben. Ich werde jetzt gehen und Ihnen
einen Kaffee holen.« Sie wandte sich zu dem Vater des
Mädchens. »Wenn Sie etwas Stärkeres möchten, bedienen Sie
sich bitte. Der Herr Doktor müßte irgendwo eine Flasche
Brandy haben.«
Jim Cochran blinzelte. »Würden Sie mir verraten, wo der
Herr Doktor den kostbaren Stoff verborgen hält?«
»Keine Ahnung.« Barbara war auf der Schwelle, als sie
hinzufügte: »Aber wenn ich Sie wäre, würde ich einmal im
Bücherschrank nachsehen. Unten rechts.«
    Ellen Lonsdale hatte neben dem Bett ihres Sohnes Platz
genommen. Alex trug eine Atemmaske, der größte Teil des
Kopfes war bandagiert. Eine Anzahl von Schläuchen und
Kabeln führte zu medizinischen Geräten, deren Funktion Ellen
nicht kannte. Sie wußte nur, daß es diese Maschinen waren, die
ihren Sohn am Leben erhielten.
    Seit fünf Stunden saß sie nun neben ihm und hielt ihm die
Hand. Jenseits des Fensters war die Morgendämmerung zu
erkennen. Der Junge hielt die Augen geschlossen. Eigentlich
hätten sie offen sein müssen, dachte Ellen.
    Insgeheim wunderte sie sich, daß die Hand ihres Sohnes
noch so warm war. Aus irgendeinem Grund redete sie sich ein,
daß Alex längst tot war.
    Einige Male in jener Nacht hatte sie sich dabei ertappt, wie
sie die Anzeigen der Geräte kontrollierte. Wieso zeichnete die
Maschine Hirnströme auf, wenn der Patient nicht mehr lebte?
Vielleicht habe ich unrecht, dachte sie. Vielleicht schläft er nur.
    Zugleich wußte sie, daß er nicht schlief.
Alex lag im Koma.
Nur das Atemgerät hielt ihren Jungen noch am Leben. Wenn
man es abschaltete, war alles vorbei.
    War es nicht grausam, ein menschliches Wesen mit Hilfe
von Maschinen vor dem gnädigen Tod zu bewahren?
Warum ließen die Ärzte einen Patienten, dessen Zustand
hoffnungslos war, nicht sterben?
Es wäre leicht für Ellen gewesen, dem Schicksal nachzuhelfen, in den letzten Stunden hatte sie dazu mehrere Male
Gelegenheit gehabt. Sie hätte nur das Atemgerät abzuschalten
brauchen. Der Todeskampf hätte vielleicht eine Minute
gedauert.
Aber sie hatte sich zu diesem Akt des Mitleids nicht
überwinden können. Ihre Gefühle waren gespalten. Eine der
beiden inneren Stimmen, die ihre Gedanken beherrschten,
flüsterte ihr ein, daß Alex bereits tot sei. Aber die andere
Stimme, die Hoffnung, war stärker.
Plötzlich öffnete sich die Tür. Barbara Fannon betrat das
Krankenzimmer.
»Mrs. Lonsdale, es ist schon acht Uhr früh. Sie haben die
ganze Nacht kein Auge zugemacht.«
»Ich weiß.«
»Ihr Mann ist in Dr. Mallorys Büro. Die Tests sind ausgewertet worden. Wollen Sie nicht kommen?«
Ellen dachte nach. »Nein«, sagte sie schließlich. »Ich bleibe
bei Alex. Mein Mann wird mir sagen, was ich wissen muß.«
Barbara verließ das Krankenzimmer. Ellen blieb bei ihrem
Sohn zurück.
    »Schlecht«, sagte Dr. Mallory.
Marsh Lonsdale warf einen Blick auf die Testbögen.
Dr. Mallory hatte recht. Es sah schlimm aus.
Er betrachtete die Röntgenaufnahmen. Knochensplitter in
    fast allen Bereichen des Gehirns.
»Ich verstehe nicht viel von Gehirnverletzungen«, sagte er
nach einer Weile.
Dr. Mallory entschloß sich zur Flucht

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