Das Kind der Stürme
kleiner Kopf sonst heftig aufgeprallt wäre. Und jetzt ganz langsam abwärts. Ich führte die notwendigen Veränderungen aus. Ein wenig nach rechts, so dass sie auf ein schmales Sims neben den Felsen fallen würde. Nicht zu heftig; sie würde Angst haben und könnte dann immer noch tiefer stürzen. Nun war es vorüber. Ich schauderte von Kopf bis Fuß und war nicht im Stande, etwas zu sagen, als hätte selbst diese eingeschränkte Benutzung der Magie mich vollkommen erschöpft.
Tante Liadans Männer waren gut. Beinahe bevor Sibeal auch nur begriffen hatte, was geschehen war, waren zwei von ihnen den steilen Hang hinuntergeeilt und hielten meine kleine Cousine fest, damit sie nicht weiterstürzte. Unter beruhigenden Worten trugen sie sie vorsichtig wieder zum Weg hoch. Liadan war bleich geworden und tastete das Kind nach Knochenbrüchen ab. Sibeal selbst war erstaunlich ruhig. Ein kurzes Schniefen und ein leichtes Zittern der Oberlippe waren die einzigen Anzeichen dafür, wie sehr sie sich erschrocken hatte. Eilis jedoch schluchzte vor Angst. Sobald Liadan festgestellt hatte, dass Sibeal nicht verletzt war, setzten sie sie vor ihren Vater aufs Pferd, und unsere Wachen führten uns rasch den Hügel hinab zu einer sicheren Stelle unter den Kiefern, wo wir Rast machen und uns erholen konnten. Ein kleines Feuer wurde entzündet, und es wurde gekocht. Ich beschäftigte mich damit, die inzwischen laut heulende Eilis zu beruhigen, denn auf gar keinen Fall wollte ich, dass man mir Fragen stellte. Ich hatte instinktiv gehandelt; ich hatte den einzig möglichen Weg eingeschlagen. Sollte es wieder geschehen, würde ich das Gleiche tun. Und dennoch trug ich immer noch das Amulett meiner Großmutter und bewegte mich auf ihrem Pfad. Ich spürte eine Veränderung in mir selbst oder in dem Talisman, den ich trug. Seit jener Nacht, in der Großmutter zu mir gekommen war, der Nacht, in der sie gedroht hatte, alle zu vernichten, die mir am Herzen lagen, konnte ich anscheinend ihrem Willen nicht mehr blind und ohne Fragen folgen. Wurde die Macht des Amuletts irgendwie durch die Schnur, an der es jetzt hing, gebrochen? Mir war kalt im Herzen. Wahrscheinlich war alles nur Zufall, aber vielleicht war es auch Großmutters Werk; eine Art von Prüfung. Sollte das der Fall gewesen sein, dann bestand kein Zweifel daran, dass ich jämmerlich versagt hatte. Ich hatte genau das Gegenteil von dem getan, was sie gewollt hätte. Vielleicht würde ich es nie erfahren. Vielleicht würde ich von nun an über jeden Sturz, über jeden kleinen Unfall nachdenken müssen, ohne je wirklich etwas darüber zu erfahren.
»Du bist eine so gute Reiterin, Eilis«, sagte ich und strich der Kleinen über die Locken. »Wenn wir wieder zu Hause in Sevenwaters sind, werde ich deiner Mutter sagen, wie gut du dein Pferd unter Kontrolle hattest, selbst als dieser Unfall geschah, und wie mutig du gewesen bist.« Langsam wurde sie ruhiger, und nach einer Weile brachte Deirdre uns beiden Tee, und ich sah aus der Entfernung zu, wie Liadan Sibeal noch einmal ausführlicher untersuchte, ihr in die Augen schaute und ihr Fragen stellte. Dem Pony des Kindes ging es offenbar wieder gut; es stand nun neben den anderen und fraß das dürre Wintergras.
»Seltsam«, stellte Deirdre fest. »Wenn Leute vom Pferd fallen, dann fallen sie normalerweise einfach. Aber Sibeal – sie ist das letzte Stück irgendwie geschwebt. So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen.«
»Magie«, verkündete Eilis, trotz ihres Schluckaufs. »Wie in einer Geschichte.«
»Sie hätte umkommen können.« Deirdre dachte offenbar intensiv nach. Aber bevor sie zu einem Schluss kommen konnte, war Liadan bei uns, und die Mädchen machten sich davon, um sich um Sibeal zu drängen und ihr mehr Tee zu bringen und Fragen zu stellen.
Meine Tante setzte sich neben mich auf einen abgerissenen Ast. Sie war ernst, beinahe streng.
»Mein Bruder hat nicht gesehen, was passiert ist, aber ich schon, Fainne«, sagte sie leise. »Zunächst dachte ich, ich hätte es mir nur eingebildet. Aber Sibeal sagt, du hättest sie gerettet.«
Ich antwortete nicht.
»Du weißt vielleicht nicht, dass dein Vater mir einmal das Leben gerettet hat, indem er einsetzte, was er bei den Druiden gelernt hatte. Du hast heute etwas sehr Gutes getan, Fainne. Ciarán wäre stolz auf dich. So schnell und beinahe unmerklich.«
Mir war elend zu Mute. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich geweint.
»Du scheinst traurig zu sein«, sagte Liadan. »Fehlt
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