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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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um uns her ritten weiter und wussten nichts von dem Kampf, der in ihrer Mitte tobte. Es gab nur drei Personen, die wussten, dass etwas nicht stimmte: mein Vetter und ich und die Zauberin, die niemand sehen konnte.
    Wir schlugen unser Nachtlager auf. Johnny zog sich früh zurück. Er aß nichts. Ich bemerkte, dass seine Gesichtsfarbe ein wenig kränklich war und dass er sich bemühte, dem kritischen Auge seiner Mutter zu entgehen. In der Nacht wachte ich auf und hörte, wie jemand draußen hinter den Felsen im Schatten würgte, und ich hörte, dass Liadan sich rührte, aber sie wurde nicht wach. Kurz nach Einbruch der Dämmerung zogen wir weiter, und die Männer ritten schweigend neben uns her. Die Luft war wie zu Hause, scharf und salzig. Möwen flogen schreiend über uns hinweg. Ich konnte aus der Ferne das Tosen des Meeres hören. Aber ich konnte diese vertrauten Dinge nicht genießen, nicht an diesem Ort, wo ganz Erin zwischen mir und meinem Vater lag. Nicht, wenn ich nie wieder mit einem Freund an meiner Seite über diese Klippen gehen und im Schutz der Steine in schweigendem, vollkommenen Vertrauen sitzen konnte. Solche Dinge würde ich nie wieder haben. Ich verdiente sie nicht; ich hatte sie nie verdient. Das Amulett tat mir weh; es würde sich auf der Haut meiner Brust abzeichnen. Aber das war nichts gegen das, was mein Vetter ertragen musste. Großmutter beobachtete uns; sie war in der Nähe. Ich konnte Johnny nicht helfen, selbst wenn ich alles gewusst hätte, um den Zauber rückgängig zu machen, selbst wenn eine einzige Berührung genügt hätte. Ich durfte es nicht tun.
    Das Land wurde offener. Der Himmel war heller, als wir stetig weiter nach Norden kamen. Es gab hier nur wenig Bäume; die paar, die sich an diese windgepeitschte Ecke klammerten, taten das in kleinen Schluchten oder Senken zwischen niedrigen Hügeln. Zwei Männer ritten im Galopp davon, zweifellos, um unsere Ankunft anzukündigen. Die anderen zogen immer noch schweigend mit uns den Weg entlang. Unsere Reise würde bald zu Ende sein. Als wir die nächste Anhöhe erreichten, war dort hinter einer hellen Linie von Klippen das Meer zu sehen. Ich hörte plötzlich ein Flüstern in meinem Kopf: Verlockend, nicht wahr?, verspottete sie mich. Du weißt, wie es an ihm frisst, du erkennst es, nicht wahr? Der Junge ist stark; er ist einer dieser Fomhóire-Rückschläge und außerdem ein ausgebildeter Krieger. Das hat er von seinem Vater. Ich habe ihn unterschätzt; wir werden diesen Fehler nicht noch einmal machen. Und ihr habt euer Ziel beinahe erreicht, es gibt nicht mehr viele Möglichkeiten. Ich denke, ich werde es nur noch einen Schritt weiterführen, bis kurz vor den Punkt, wo der Körper aufgibt, wo das Herz nicht mehr richtig schlägt … ganz dicht daran … du weißt, wie es sich anfühlt, Fainne …
    Ich wusste es. Man stelle sich ein wildes Tier vor, das einen bei lebendigem Leib auffrisst, während man selbst vollkommen schutzlos ist. Man stelle sich einen Schmerz vor, der in jede Ecke des Körpers eindringt, in jede Faser des Wesens. Ich wusste, wie es war. Ich wartete und zitterte, während ich Johnny beobachtete. Meine Finger bebten von der Anstrengung, den Gegenzauber zurückzuhalten; ich zwang mich, die Worte herunterzuschlucken, die ihn befreien würden. Und endlich war eine sichtbare Reaktion wahrzunehmen. Johnnys Pferd zitterte und blieb stehen, er selbst glitt aus dem Sattel und stand nun auf dem Weg. Ich konnte seinen Atem hören, angestrengt und rasch. Immer noch blieb er aufrecht stehen, während jeder andere Mann sich längst am Boden gewunden hätte und sich schreiend den Bauch gehalten hätte. Mein Pferd hinter ihm war ebenfalls bebend stehen geblieben.
    Ich konnte kein Wort herausbringen.
    Genügte das jetzt endlich für Großmutter? Warum konnte Johnny nicht niederstürzen oder schreien oder irgendein Zeichen von sich geben, dass er besiegt war, damit sie endlich aufhörte? Ich wusste, sie konnte nicht weitermachen, ohne Gefahr zu laufen, ihn zu töten. Was war dieser Junge, dass er solche Qualen ertragen konnte – der wiedergeborene Cú Chulainn? Ein anderer Mann ritt zurück zu ihm, und ein kurzer Austausch fand statt. Liadan war ein ganzes Stück hinter uns und außer Sichtweite.
    Nun stieg der andere Mann ab, stellte sich neben den Weg, hielt die Zügel beider Pferde. Hinter seiner Maske sah Johnny mich an. Er deutete mit einer Kopfbewegung an, dass ich ihm folgen sollte, einen schmalen Pfad nach Osten entlang,

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