Das Kind der Stürme
verschwinden und nur eine Ameise oder eine Küchenschabe an seiner Stelle zurückbleiben. Mit einiger Anstrengung hielt ich mich zurück.
»Hat deine Mutter sie gemacht?«, fragte Clodagh. Deirdre warf ihr einen Blick zu.
»Ja«, sagte ich.
»Wie heißt sie?«, wollte Maeve wissen und inspizierte Rionas rosa Rock und bedachte den seltsamen Halsschmuck mit einem geringschätzigen Blick.
»Riona.«
»Muirrin hat mir einmal eine Puppe gemacht. Aber sie ist nicht so hübsch wie diese. Darf ich mit ihr spielen?«
»Sie ist nicht zum Spielen gedacht«, sagte ich, ging zu ihr und nahm ihr Riona wieder ab. Ich setzte sie vorsichtig dorthin zurück, wo sie hingehörte, damit sie aus dem Fenster zum Waldrand schauen konnte.
»Baby«, sagte Deirdre und zog Maeve eine Grimasse.
»Ich bin kein Baby! Eilis ist eins. Coll ist eins. Ich bin zehn Jahre alt. Ich bin erwachsen.«
Deirdre zog die Brauen hoch und verdrehte die Augen.
Maeve brach in Tränen aus. »Ich bin erwachsen! Ganz bestimmt. Sag es ihnen, Fainne!«
Mädchen, die ihre kleinen Schwestern wegen Nichtigkeiten zum Weinen brachten, konnten schlimme Dinge zustoßen. Meine Finger zuckten, sehnten sich danach, einen Zauber zu wirken. Es war lange her. Ich beherrschte mich. Ich musste meine Fähigkeiten für wichtigere Zwecke bewahren.
»Du darfst mit Riona spielen, wenn du unbedingt willst«, sagte ich großzügig.
»Jetzt will ich nicht mehr«, schmollte Maeve, aber sie nahm Riona wieder von der Fensterbank und saß da, vom Schluckauf geschüttelt und mit der Puppe in den Armen.
»Hier«, sagte ich und reichte ihr meine Haarbürste. »Ein bisschen Kämmen könnte ihr nicht schaden.« Ich wandte mich den anderen Mädchen zu. »Wer ist Coll?«, fragte ich.
»Unser Vetter.« Clodagh erklärte gerne; sie teilte gerne ihr Wissen mit anderen. »Das heißt, dass er auch dein Vetter ist, nehme ich an.«
»Tante Liadans Sohn?«
»Einer von ihnen. Sie hat Unmengen davon.«
»Genauer gesagt vier«, warf Deirdre ein. »Coll ist der Kleinste.«
»Dann ist da noch Cormack, er ist vierzehn und glaubt, er wäre ein Krieger. Dann gibt es Fintan, aber den kennen wir nicht, weil er immer in Harrowfield bleibt. Und Johnny.« Dieser Name wurde in einem ganz besonderen Tonfall ausgesprochen, als ginge es um einen Gott.
»Wenn ich alt genug bin, werde ich Johnny heiraten«, verkündete Deirdre vollkommen überzeugt.
Ihre Zwillingsschwester warf ihr einen wachsamen Blick zu. »Nein, das wirst du nicht«, sagte sie.
»Werde ich doch!« Deirdre sah aus, als würde sie gleich explodieren.
»Nein, das wirst du nicht«, erwiderte ihre Zwillingsschwester entschieden. »Du kannst deinen Vetter ersten Grades oder deinen Neffen oder deinen Onkel nicht heiraten. Janis hat mir das gesagt.«
»Warum nicht?«, wollte Deirdre wissen.
»Weil deine Kinder dann verflucht wären, deshalb. Sie würden mit drei Augen zur Welt kommen oder mit Hasenohren oder verkrüppelten Füßen oder so. Das weiß doch jeder.«
»Was ist denn, Fainne?«, fragte Maeve plötzlich und blickte zu mir auf. »Du bist ganz blass geworden.«
»Nichts«, erwiderte ich so fröhlich, wie ich konnte, obwohl Clodaghs Worte mein Herz beinahe hatten erstarren lassen. »Erzählt mir mehr über diese Jungen, unsere Vettern. Wohnen sie weit entfernt? Ihr scheint sie ganz gut zu kennen.«
»Wir sehen sie manchmal. Nicht Fintan, er ist der Erbe von Harrowfield, und Tante Liadan sagt, er ist wie sein Großvater und bleibt lieber auf dem Landsitz und pflügt oder schlichtet Streitigkeiten, als seine Zeit damit zu verbringen, bis nach Ulster zu reisen. Und Cormack ist die meiste Zeit in Inis Eala. Aber Tante Liadan bringt Coll mit, wenn sie zu Besuch kommt. Coll und Eilis, das ist wirklich schrecklich, wenn sie zusammen sind. Dann ist hier gar nichts mehr sicher.«
»Und was ist mit dem anderen? Johnny – so heißt er doch.«
»Johnny ist anders.« Clodaghs Stimme war liebvoller geworden. »Er ist oft hier und lernt viel über Sevenwaters, die Namen der Leute und wie man die Höfe bewirtschaftet und alles über die Verbündeten und Verteidigung und die Kriegszüge.«
»Johnny ist ein guter Reiter«, warf Maeve ein.
»Was auch sonst?«, sagte Clodagh ein wenig verächtlich. »Schließlich ist er unter den besten Kämpfern von ganz Ulster aufgewachsen. Er ist ein echter Krieger und ein großer Anführer, obwohl er noch so jung ist.«
»Er ist also ein Furcht erregender, wilder Mann?«, fragte ich.
»O nein.« Maeve hatte
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