Das Kind der Stürme
und so einer lässt sich nicht nieder. Er wird es vielleicht versuchen, aber früher oder später ruft die Straße nach ihm, und dann macht er sich wieder auf den Weg. Für eine Frau ist das anders. Sie mag sich vielleicht danach sehnen, aber sie wird um eines Mannes willen oder für ein Kind verzichten. Nun, dann macht euch davon. Muirrin, sorge dafür, dass das Mädchen das alte Zimmer seiner Mutter bekommt. Steck die Kleinen in den Nordflügel. Und vergiss nicht, das Bettzeug gut zu lüften.«
Sie sprach, als wäre sie die Herrin des Hauses und Muirrin eine Dienerin. Aber Muirrin lächelte, und als wir nach oben gegangen waren in ein ordentliches, sauberes Zimmer, aus dessen schmalem Fenster man den Waldrand sehen konnte, kümmerte sie sich als erstes um das Feuer und überprüfte die strohgefüllte Matratze und die wollenen Steppdecken. Ich kam zu dem Schluss, dass ich meine Vorstellungen davon, wie das Leben in einem solch großen Haus wie Sevenwaters sein würde, schleunigst ändern musste. Ich wollte Muirrin nicht dankbar sein müssen. Ich wollte mich nicht mit ihr anfreunden. Ich konnte mir nicht leisten, jemandes Freundin zu sein, wenn ich Großmutters Wünsche befolgen wollte. Aber ich war gezwungen zuzugeben, dass meine Cousine einen sehr fähigen Eindruck machte.
Am meisten sehnte ich mich danach, allein zu sein. Die Notwendigkeit, so viele Menschen kennen zu lernen und zu lächeln und höflich zu sein, hatte einfach ihren Preis verlangt. Muirrin sorgte nun dafür, dass ich alles hatte, was ich brauchte, und dann verließ sie mich mit dem Versprechen, später wiederzukommen. Das Zimmer sollte mir allein gehören, auch wenn zwei Betten darin standen. Es würde Deirdre und Clodagh nichts ausmachen umzuziehen, erklärte Muirrin lächelnd.
Später klopfte es höflich an der Tür, und ein Mann brachte meine kleine Truhe herein. Es fühlte sich sehr seltsam an, in diesem Zimmer auszupacken, das einmal meiner Mutter gehört hatte. Vielleicht hatte sie es mit ihrer Schwester geteilt, der Tante Liadan, von der alle sprachen. Ich hatte wenig auszupacken. Ich nahm eines der guten Kleider heraus und legte es für später bereit. Dann holte ich die verknittert und verärgert aussehende Riona heraus und setzte sie aufs Fenstersims, damit sie auf den Wald hinausschauen konnte. Es war hier bestimmt nicht notwendig, sie zu verstecken. In einem Haus voller Mädchen gab es doch sicher jede Menge Puppen. Riona schien besser hierher zu passen als ich. Ich konnte mich trotz meiner Schmerzen nicht recht ausruhen, ich war zu beschäftigt damit, meine neue Umgebung zu verstehen. Das Ausmaß meiner Aufgabe bedeutete, dass ich keine Zeit verschwenden durfte. Ich musste so viel wie möglich herausfinden, und dann musste ich einen Plan schmieden. Ich durfte nicht faul sein. Großmutter würde nach mir Ausschau halten, und sie würde mich finden. Ich wäre dumm gewesen, daran zu zweifeln. Fernsicht war ein Zweig unseres Handwerks, den ich kaum beherrschte und der mich immer frustriert hatte. Aber sie hatte ihren dunkeln Spiegel und ihre Schale stillen Wassers, sie hatte die Fähigkeit, zu suchen und andere Orte und Zeiten zu sehen. Wenn sie mich suchte, würde es für mich keinen Ort geben, an dem ich mich verbergen konnte.
Es brauchte Zeit. Es brauchte auch Mut. Es gab so viele Menschen und so viel Lärm, und außer Muirrin schien niemand zu begreifen, wie sehr ich das hasste. Es bewirkte, dass sich mein Magen zusammenzog und mein Kopf wehtat und meine Finger sich nur zu gern auf unheilvolle Art selbstständig gemacht hätten. Aber ich setzte das Handwerk nicht ein. Stattdessen beobachtete ich und lauschte, und schon bald gelang es mir mit einem Zauber, der mir nach Jahren von Vaters Unterricht wie von selbst von der Hand ging, so viel wie möglich über die Familie und ihre Verbündeten zu verstehen.
Es gab die Personen des Haushalts, der Festung von Sevenwaters, die im Zentrum des ausgedehnten Túath von Onkel Sean stand. Ihn fand ich recht angenehm. Manchmal schien er ein wenig abgelenkt, aber wenn er mit mir sprach, behandelte er mich immer wie eine Gleichrangige, und er nahm sich Zeit, die Dinge zu erklären. Ich sah nie, dass er zu jemandem im Haushalt ungerecht gewesen wäre. Ich war gezwungen, mich daran zu erinnern, dass auch er an der Verbannung meiner Mutter aus ihrem Heim beteiligt gewesen war. Es kam mir nicht so vor, als ob Onkel Sean gefährlich sein könnte, außer vielleicht auf dem Schlachtfeld oder in einer
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