Das Kind der Talibanfrau
Kippa, Bart, weißes Hemd, schwarze Hose und Zizijot,
wann immer ich kann, fliehe ich in den vierten Stock
dort ist es warm.
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Mama ist der Admor.
Die orthodoxen Frauen streiten nie, fragen nie, widersprechen nie, denken nie.
Senken nur ihre Köpfe und stimmen zu
Idiotinnen.
Wie Affen, die versuchen, sie nachzuahmen, Kopfbedeckung, lange Kleider, sogar die Art, wie sie spricht.
Sie sind alle primitiv, dumm, jämmerlich und arm.
Was finden sie an ihr?
Immer weinen, schimpfen sie und sind wütend. Die Ehemänner schlagen sie, die Söhne fluchen, die Töchter sind krank, und die Eltern sind lästig.
Mama liebt sie, umarmt, küsst, streichelt
Faigy bekommt nur Ohrfeigen.
Gestern kam eine, deren Sohn flucht und deren Tochter wegläuft. Mama hat gesagt, sie müsse ihr Kopftuch ändern, ihre Ärmel verlängern und aufhören, die Teufelssprache zu sprechen. Sie hat mit aufgerissenem Mund und verzauberten Augen zugehört,
denn Mama der Admor hat immer recht
jedes Wort ist das Wort eines lebendigen G-ttes.
Ihre Kinder können einem leidtun.
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Es gibt kein Morgen, kein Gestern, keine Vergangenheit, keine Zukunft, nichts.
Ich war den ganzen Tag mit Faigy zusammen, von dem Moment an, als ich von der Schule heimkam, bis abends.
Wir waren im Streichelzoo, sind auf dem Spielplatz rutschen gewesen und haben im Sand gespielt.
Am Nachmittag haben wir ganz absichtlich eine ganze Tafel Orangenschokolade gegessen, eine Hälfte für mich, eine Hälfte für sie.
Für einen Moment habe ich mich von außen gehört, wie ich rede, lache, brabbele
einfach so
ohne Grund
plötzlich schmeckte die Schokolade gut, die Sonne wurde heißer, und Faigys Augen hatten eine grüne Farbe.
Faigy ging zuerst ins Haus, damit Mama nicht merkt, dass wir draußen gespielt haben. Dann ich.
Wie immer saß sie im Wohnzimmer mit einer Herde orthodoxer Frauen, wie immer predigte sie Anstand, wie immer wird der Dritte Tempel wegen der tugendhaften Frauen neu erbaut werden.
Im Zimmer haben wir, Faigy und ich, ein Zelt zum Verstecken aufgestellt, damit wir Mamas Stimme aus dem Wohnzimmer nicht hören.
Wir banden eine Decke zwischen die Betten, auf den Boden legten wir Kissen und uns darunter.
Zwischen den Decken, wo uns niemand drangsalieren, wehtun, verhöhnen und schlagen konnte
umarmten wir uns.
Und die Welt endete.
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Im Namen der Tugend
Juliane von Mittelstaedt
Draußen ist die Judäische Wüste, am Horizont glänzt das Tote Meer, und drinnen, in ihrem selbstgezimmerten Haus, sitzt Debora Silverstein 1 und träumt davon, die Welt verschwinden zu lassen. Sie möchte ihr Gesicht verhüllen, sagt sie, mit einem Tuch, das Mund, Nase, Augen bedeckt. Einem schwarzen Schleier, ohne Sehschlitz, der jeden Blick schluckt und die Welt in Dunkelheit taucht. Der Schleier, das wäre der Höhepunkt von Zniut, der Sittsamkeit, die maximale Annäherung an Gott. Aber, seufzt sie: »So weit bin ich leider noch nicht.«
Doch bereits jetzt hat Silverstein, 30 Jahre, sechs Kinder, zwischen sich und die Welt eine Isolierschicht aus Stoff gezogen. Sie trägt: einen Wollumhang, eine Schürze, eine Bluse, drei bodenlange Cordröcke, einen schwarzen Rock, eine Hose. Sie hat ein schwarzes Wolltuch lose um den Kopf gewickelt, darunter sitzt ein enges, schwarzes Tuch, darunter ein blassrosa Kopftuch. Kein Haar schaut hervor, nur ein Paar Ohrringe, aber die nimmt sie ab, wenn sie das Haus verlässt.
Silverstein ist Jüdin, mit einem Juden verheiratet und wohnt in einer Siedlung im Westjordanland. Aber sie kleidet sich, als würde sie in Afghanistan leben. »Taliban«, so werden die Verschleierten in Israel genannt, sie selbst nennen sich Tuchfrauen. Silverstein behauptet, sie seien Tausende, wahrscheinlicher ist, dass es ein paar Hundert dieser Frauen gibt, man sieht sie vor allem im ultraorthodoxen Stadtviertel Mea Schearim in Jerusalem, schwarze, unförmige Gestalten, an den Händen die Töchter, Miniaturausgaben ihrer selbst.
Man kann sie verrückt nennen, man kann sie aber auch als Produkt einer religiösen Gemeinschaft sehen, die immer extremistischer wird.
Überall im Nahen Osten gewinnen die Religiösen an Macht, und auch in Israel wird der Einfluss radikaler Rabbis größer. Das wird besonders deutlich, wenn es um die Frauen geht. Ausgerechnet hier, wo mit Golda Meïr schon in den siebziger Jahren eine Frau regierte und Frauen Kampfjets fliegen, versuchen jüdische Fundamentalisten, die Trennung der Geschlechter in der
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