Das Kind des Schattens
eingeritzt waren, und dem symmetrischen Muster auf seinem Grund. Kaen hatte das Bild jenes dunklen, zertrümmerten Kessels genommen und daraus ein Kunstwerk gefertigt, das das Sternenlicht ebenso hell einfing wie der See.
Es war ein Gegenstand, nach dem man sich sehnen konnte, nach dem sich jedes einzelne von den sterblichen Kindern des Webers in allen Welten herzinniglich sehnen konnte. Schon für sich genommen als Kunstwerk war es wunderschön, aber auch als Symbol: Es symbolisierte die Wiederkehr vom Tod, von jenseits der Mauern der Nacht, das leidenschaftliche Sehnen all jener, die verdammt waren zu sterben, dass es eine Wiederkehr gäbe oder eine Fortsetzung geben möge, dass das Ende nicht wirklich das Ende sein möge.
Kim blickte auf den Zwerg, der diesen Gegenstand geschaffen hatte, sah, wie er sein Werk betrachtete, und verstand in diesem Augenblick, wie er dazu gekommen war, Maugrim zu befreien und ihm den Kessel auszuhändigen. Sie erkannte, dass Kaen die Seele eines Künstlers besaß, aber die Suche, die Sehnsucht nach Wissen und Schöpfung hatten sich in ihm verselbständigt und den Punkt erreicht, wo der Wahnsinn begann.
Die Verwendung des Kessels war für eine solche Person unwichtig, ihm kam es darauf an zu finden, zu wissen, wo er ihn finden könne. Es war alles so abstrakt, verinnerlicht und so umfassend, dass nichts zwischen dem Sucher und seinem alten Verlangen stehen durfte. Ihn kümmerte nicht, ob Tausende oder Zehntausende starben, ob eine Welt oder alle Welten der Finsternis preisgegeben wurden.
Er war ein Genie, und er war verrückt. Er war in einem solchen Maße von sich selbst eingenommen, dass es schon nicht mehr vom Bösen unterschieden werden konnte, und trotzdem hatte er in sich diese Schönheit, die ein Ausmaß erreichte, das Kim sich niemals hätte vorstellen können.
Sie wusste nicht, wie lange sie so standen, gebannt von diesem leuchtenden Gegenstand. Schließlich hustete Niach, es klang fast entschuldigend. Er sagte: »Wir haben Kaens Gabe gesehen.« Seine Stimme war belegt und unsicher. Kim konnte ihn dafür nicht einmal tadeln. Trotz allem, was sie wusste, hätte ihre Stimme kaum anders geklungen.
»Matt Sören?« fragte Niach. Matt ging zu Loren hinüber. Einen Augenblick lang hielt er vor diesem Mann inne, um dessentwillen er diese Berge und diesen See verlassen hatte. Und die beiden wechselten einen Blick, der Kimberly dazu veranlasste, sich einen Moment von ihnen abzuwenden, denn er war so intim und drückte so vieles aus, was niemanden außer ihnen betraf. Dann zog auch Matt ruhig das Tuch von seinem Kunstwerk weg.
Loren hielt einen Drachen in den Händen.
Er stand zu Kaens Kunstfertigkeit in derselben Beziehung wie das steinerne Tor am Ende der Treppe zu den herrlichen Gewölben, die in Seithrs Halle hineinführten. Er war roh bearbeitet, unpoliert, seine scharfen Ecken waren nicht abgerundet. Wo Kaens Kessel strahlend im Sternenlicht schimmerte, schien Matts Drachen dagegen stumpf. Er hatte zwei große hervorstehende Augen, und sein Kopf war in einem merkwürdigen, verformten Winkel nach oben gerichtet.
Und trotzdem konnte Kim ihre Augen nicht von ihm wenden. Bei den anderen war es genauso, bemerkte sie. Und selbst Kaens schnelles Spottgelächter war in Schweigen übergegangen. Als Kim genauer hinsah, erkannte sie, dass das Rohe, Ungeschliffene beabsichtigt war und nicht aus Unfähigkeit oder Eile resultierte. Es hätte nur wenige Augenblicke gedauert, die Schulterlinie des Drachen zu glätten, und so war es auch mit dem scharfen Rand des weggedrehten Halses. Matt hatte es so gewollt.
Und langsam begann sie zu verstehen. Unwillkürlich erschauerte sie, denn es lag darin eine Kraft jenseits aller Worte, die von der Seele, dem Herzen und einem tieferen Bewusstsein als dem des denkenden Verstandes aufstieg. Denn während Kaen versucht hatte, der Schönheit dieses Ortes Ausdruck zu verleihen (was ihm auch gelungen war), die Sterne einzufangen und zu verwandeln, hatte Matt etwas anderes angestrebt.
Er hatte sich der alten, primitiven Kraft genähert (mehr war es nicht), die Kim gespürt hatte, als sie die Treppen emporstiegen, und die ihr Bewusstsein geradezu überwältigte, sobald sie auf die Wiese getreten waren.
Calor Diman war unendlich viel mehr als ein Ort der Herrlichkeit und des Ruhmes, so sehr er das auch war. Er war Urgestein, er war Wurzel. Er beinhaltete das Rohe des Felsens und das Alter der Erde wie auch die kalten Tiefen des Bergwassers. Er war sehr
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