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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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… Zu groß war der Schmerz. Er zerriss sie von innen her, und was noch schlimmer war: Ein Teil dieses Schmerzes stammte von ihr selbst. Wieder kamen in ihrem Traum Rauch und die Höhlen vor, sie sah sich mit Verletzungen auf ihren Armen, aber wieder floss kein Blut. Kein Blut in Kath Meigol. Der Rauch trieb in der sternenerleuchteten, feuererleuchteten Nacht. Dann erschien ein anderes Licht, als der Baelrath zu flammen begann. Sie fühlte es als Brennen, als Schuld und Schmerz, und mitten in diesem Lodern beobachtete sie selbst, wie sie in den Himmel über den Bergen aufblickte und den roten Mond von neuem sah, und sie hörte einen Namen.
    Am Morgen war sie noch immer dicht in ihre Gedanken gehüllt, sie hatte es Brock und Dalreidan überlassen, ihren Aufbruch vorzubereiten, den ganzen Morgen und noch am Nachmittag hatte sie geschwiegen, während sie hinauf nach Osten und zur Sonne kletterten.
    Zur Sonne.
    Jäh hielt sie inne. Fast wäre Brock von hinten mit ihr zusammengestoßen. Kim legte die Hand über die Augen und blickte, soweit sie konnte, nach jenseits der Berge. Und dann entrang sich ihr ein Freudenschrei. Dalreidan wandte sich um, auch Faebur. Wortlos zeigte sie mit erhobenem Finger. Sie drehten sich zurück und schauten …
    »O mein König«, schrie Brock von Banir Tal, »ich wusste, du würdest nicht versagen!«
    Die Regenwolken über Eridu waren verschwunden. Das Sonnenlicht strömte aus einem Himmel, der lediglich von den dünnen, wohlwollenden Zirruswölkchen eines Sommertages durchzogen war. Weit im Westen in Cader Sedat lag der Zauberkessel von Kath Meigol in tausend Stücke zerbrochen, und Metran von den Garantae war tot.
    Kim spürte, wie sich die Schatten ihres Traumes auflösten, wie die Hoffnung in ihr aufflackerte, so hell wie die strahlende Sonne. In diesem Augenblick dachte sie an Kevin. Die Erinnerung war schmerzlich, und das würde auch immer so bleiben, aber jetzt enthielt sie auch Freude und knospenden Stolz. Dieser Sommer war sein Geschenk … das grüne Gras, der Gesang der Vögel, der sanfte Seegang, nur so hatte Prydwen in See stechen können, Prydwen und die Männer, die auf ihr fuhren, um diese Leistung zu vollbringen.
    In Dalreidans Gesicht stand ein kühles Strahlen, als er sich zu ihr umdrehte. »Verzeih mir«, bat er, »ich habe gezweifelt.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich auch. Ich hatte schreckliche Träume von dem Platz, zu dem sie reisen mussten. Ich weiß nicht, wie sie es geschafft haben. Es ist ein Wunder.«
    Brock war hinzugetreten und stand nun neben ihr auf dem schmalen Pfad. Er sagte nichts, aber seine Augen leuchteten unter dem Verband, den ihm Kim über seine Wunde gewickelt hatte. Faebur aber kehrte ihnen den Rücken zu und blickte noch immer nach Osten. Kim wurde rasch wieder nüchtern, als sie auf ihn blickte.
    Schließlich wandte auch er sich ihr zu, und sie sah die Tränen in seinen Augen. »Verrate mir eines, Seherin«, sprach er sie an, und er klang älter, als er tatsächlich war. »Wenn die Angehörigen und das Volk eines Ausgestoßenen alle tot sind, ist die Zeit seiner Verbannung beendet, oder geht es immer noch weiter?«
    Sie kämpfte um eine passende Antwort und fand keine. An ihrer Stelle antwortete Dalreidan: »Wir können diesen Regen nicht ungeschehen machen, und wir können die abgeschnittenen Lebensfäden derer, die gestorben sind, nicht verlängern«, erklärte er mit sanfter Stimme, »aber in meinem Herzen glaube ich, dass angesichts der Taten von Maugrim kein Mann mehr ausgestoßen sein kann. Alle Lebewesen auf dieser Seite der Berge haben diesen Morgen das Geschenk des Lebens erhalten. Wir müssen dieses Geschenk nutzen, bis die Stunde kommt, die unseren Namen kennt, damit wir der Finsternis noch mehr solche Schläge versetzen können. Du hast Pfeile in deinem Köcher, Faebur. Lass sie die Namen der Menschen, die du liebtest, singen, wenn sie fliegen. Vielleicht ist das keine wahre Vergeltung, aber mehr können wir nicht tun.«
    »Und das müssen wir tun«, vollendete Brock sanft.
    »Für einen Zwerg ist das leicht zu sagen!« schnappte Faebur, indem er um ihn herumging.
    Brock schüttelte den Kopf. »Viel schwerer, als du dir vorstellen kannst. Jeder Atemzug, den ich hole, ist geladen mit dem Wissen um das, was mein Volk verbrochen hat. Zwar ist der Regen unter den Zwillingsbergen nicht niedergegangen, aber er ist in mein Herz gefallen, und noch immer regnet es dort. Faebur, erlaubst du, dass meine Axt mit deinen Pfeilen singt … in

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