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Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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zerbrechlichen Kopf. Stern blinzelte schwach und befürchtete, dass die folgenden Szenen noch sehr viel grausamer sein würden als alles andere, was er bislang ertragen musste. Er versuchte, seinen Fingern den Befehl zu geben, das Autoradio abzuschalten, doch während seine Seele die Qualen mit einem Knopfdruck ausblenden wollte, kämpfte sein Hirn dagegen an. Und schließlich fügte er sich in das unvermeidliche Grauen, damit die Reise der Erkenntnis hier in der Dunkelheit auf dem Parkplatz vor dem See endlich ihr Ende fand. Die DVD rotierte gnadenlos weiter, und Stern sah dem Mann dabei zu, wie er seine Hände nach dem Baby ausstreckte. Nach Felix! Die eine erfasste den Hals. Die andere den Oberkörper. Dann spannten sich die Muskeln der kräftigen Unterarme an, und der Unbekannte … Lieber Gott, hilf mir …
… hob Felix an und …
Das kann nicht sein. Das ist …
… und nahm ihn aus seinem Bettchen!
Das ist unmöglich!
Nur wenige Sekunden später war die kleine Matratze wieder belegt. Wieder mit einem Säugling. Gleicher Babyschlafsack, ähnliche Größe, vergleichbare Statur. Es gab nur einen einzigen auffälligen Unterschied: Es war nicht Felix. Oder etwa doch?
Das neue Baby sah seinem Jungen so verdammt ähnlich, aber etwas an seinem Anblick hatte sich verändert. Die Nase? Seine Ohren?
Die Qualität des Videos war zu schlecht. Robert konnte es einfach nicht erkennen. Er rieb sich die Augen und stemmte sich mit beiden Armen auf dem Armaturenbrett ab. Dann rückte er mit seinem Gesicht so nahe an den Bildschirm heran, wie es nur ging. Es war sinnlos. Die Konturen des Säuglings wurden dadurch nur noch unschärfer. Alles, was er mit Sicherheit erkennen konnte, war, dass dieses Baby ebenfalls lebte. Und auf eine unheimliche Art und Weise kamen ihm dessen Bewegungen sogar noch vertrauter vor als die des Neugeborenen, das eben noch an seiner Stelle gelegen hatte.
Aber das würde ja bedeuten …
Robert sah auf die eingeblendete Datumsanzeige, und dann verstand er gar nichts mehr.
Mit fast autistischem Fokus konzentrierte Stern all seine Sinne nur noch darauf, die Videobilder zu begreifen. Doch es gelang ihm nicht.
Ausgetauscht? Es war unmöglich. Felix war der einzige Jun ge auf der Station gewesen. Und er hatte ihn doch sterben sehen. Welches der beiden Videos war nun echt? Sterns Atem ging stoßweise, während er auf dem Monitor die Vollendung der Täuschungshandlungen beobachtete.
Der Bildausschnitt wurde wieder kleiner und erfasste ausschließlich den Kopf des Babys. Und die behaarten körperlosen Männerhände, die dem Säugling ein Nummernbändchen über sein rechtes Handgelenk streiften. Das Identifi zierungszeichen der Babystation, das dem Kind bislang noch gefehlt hatte.
Dann war alles aus. Die Aufnahme war zu Ende. Der Bildschirm verdunkelte sich, und Stern sah auf das Handy, das schon seit geraumer Zeit in seiner Hand vibrierte. 5.
G uten Morgen, Herr Stern.«
Robert hatte sich längst an einem Punkt geglaubt, wo seine Verzweifl ung nicht mehr gesteigert werden konnte. Als er die verzerrte Stimme hörte, wurde er eines Besseren belehrt. Im Barbereich des Restaurantschiffs wurde das Licht einmal ausund wieder angeschaltet. Ein Schatten trat an das große Fenster zum Parkplatz.
»Was haben Sie mit meinem Sohn gemacht?«, schaffte Stern zu fragen.
Obwohl er sich nichts sehnlicher wünschte, konnte er die Antwort kaum glauben.
»Wir haben ihn ausgetauscht.«
»Das ist unmöglich.«
»Wieso? Sie haben es doch eben selbst gesehen.« »Ja. Und vor drei Tagen haben Sie mir ein Video geschickt, auf dem er stirbt«, brüllte Robert. »Was wollen Sie denn von
mir? Welche Aufnahme ist echt?«
»Beide«, sagte die Stimme ruhig.
»Sie lügen.«
»Nein. Ein Baby ist gestorben. Ein anderes lebt. Felix ist jetzt zehn Jahre alt und lebt bei einer Adoptivfamilie.« »Wo?«
Die »Stimme« machte eine längere Pause, etwa so wie ein Redner, der zu einem Glas Wasser greift. Ihr Klang blieb blechern, wenn auch wieder nicht so künstlich verzerrt wie beim allerersten Kontakt.
»Wollen Sie das wirklich wissen?«
»Ja«, hörte Stern sich selber sagen. Tatsächlich gab es nichts Wichtigeres in diesem Augenblick.
»Dann öffnen Sie das Handschuhfach.«
Er gehorchte wie ferngesteuert. »Und jetzt?« »Nehmen Sie die Box und öffnen Sie sie.« Stern griff mit zitternden Fingern nach der Verpackung mit den Frischhaltetüchern. Die Luft entwich mit einem wütenden Fauchen, als er den Plastikdeckel abzog. »Hab ich

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