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Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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ist bereits verstrichen. Mich würde interessieren, was Sie bis jetzt herausgefunden haben.«
Mit der Stimme schwappte die Hupe eines Schwerlasters aus weiter Entfernung durch die Leitung.
»Warum fragen Sie mich? Sie wissen doch eh bereits alles. Der Mann im Kühlschrank. Der Kinderkopf auf dem Friedhof. Himmel, Sie sind sogar vor Ort! Was soll ich Ihnen
denn noch erzählen?«
»Etwas, was mich zum Mörder von Harald Zucker und Samuel Probtjeszki führt. Denken Sie nach. Was hat der Junge Ihnen heute alles verraten?«
»Nicht viel.« Stern schluckte.
Vom vielen Sprechen war er schon ganz heiser geworden. Möglicherweise hatte er sich bei diesem Mistwetter aber auch erkältet.
»Ich weiß selbst nicht, was ich davon halten soll«, begann er zögernd. »Simon hat gesagt, er ist noch nicht fertig. Er will wieder töten.«
Pause. Zum ersten Mal hatte Stern den Eindruck, dass er seinem Gegenspieler einen Zug voraus war, selbst wenn er nicht wusste, auf welchem Spielfeld sie sich überhaupt bewegten.
»Geben Sie ihn mir.«
»Den Jungen?«
»Ja. Ich will ihn sprechen.«
Stern sah auf. Er hatte gar nicht darauf geachtet, wohin er Carina und Borchert beim Telefonieren gefolgt war. Jetzt standen sie wieder im Erdgeschoss, am Rande der Tanzfl äche. Simons MP3-Player war verstummt, aber es hing immer noch der süßliche Geruch des Trockeneises in einer Luft, die ohnehin bald von fast dreitausend Gästen verqualmt werden würde.
»Das geht nicht.« Stern sah zu Simon hinüber. Der Kleine hatte sich einen Sitzplatz an der Champagnerbar gesucht und drehte sich dort auf einem Lederhocker im Kreis. »Das war keine Bitte.« Die Stimme wurde mit jedem Wort drängender. »Holen Sie mir den Jungen ans Telefon. Ich will ihn sprechen. Sofort! Oder soll ich Ihnen noch mal die Aufnahme der Zwillinge zeigen? Sie wollen doch nicht, dass die
Mädchen wie Tiefensee enden?«
Stern schloss die Augen und presste dabei seine Lider so fest zusammen, dass sich die Dunkelheit mit hellen Blitzen füllte. Beim Gedanken, was er Simon gleich antun musste, wurde ihm übel.
7.
J a, hallo?«
»Hallo Simon.«
Der Junge wunderte sich über den merkwürdigen Klang dieser Stimme.
»Sie sprechen ja komisch. Und woher wissen Sie denn meinen Namen?«
»Robert hat ihn mir gesagt.«
»Ach so. Und wie heißen Sie?«
»Ich hab keinen Namen.«
»Ähh? Wie jetzt? Jeder hat doch einen Namen.« »Nein. Nicht jeder. Gott zum Beispiel. Der hat auch keinen.«
»Sie sind doch nicht Gott.«
»Nein, aber ich bin ihm sehr ähnlich.«
»Wieso?«
»Weil ich auch manchmal Menschen sterben lasse. Einfach so. Verstehst du mich? Menschen wie Carina und Robert. Die magst du doch, oder?«
Simon öffnete und schloss die Faust seiner linken Hand. Es kribbelte in seinem Arm, und er wusste, was das zu bedeu ten hatte. Die Ärzte machten immer ein ganz besorgtes Gesicht, wenn er ihnen davon erzählte. Dann wollten sie Tests mit ihm anstellen und leiteten Stromstöße durch seine Finger. Bis heute hatte er nicht verstanden, warum seine Nerven links verrückt spielten, wenn sein Tumor doch im rechten Teil des Gehirns saß.
»Sie machen mir Angst«, fl üsterte Simon und hielt sich an der glänzenden Chromstange fest, die rund um die Edelstahltheke der Champagnerbar führte. Von dem Stuhl war er vorsichtshalber abgestiegen, als ihm schwindelig geworden war.
»Ich hör damit auf, wenn du mir eine einzige Frage beantwortest.«
»Dann tun Sie ihnen nichts?«
»Ehrenwort. Aber dazu muss ich jetzt etwas von dir wissen.«
»Was denn?«
»Robert hat gesagt, du willst noch mal jemanden töten. Stimmt das?«
»Nein. Ich will das nicht. Aber ich weiß, dass es passieren wird.«
»Okay. Du weißt es. Und wer ist es? Wen willst du töten?« »Ich kenne seinen Namen nicht.«
»Wie sieht er aus?«
»Weiß ich auch nicht.«
»Denk an Robert und Carina. Schau sie dir bitte noch mal ganz genau an. Du willst doch nicht, dass sie sterben, oder?«
Simon folgte den Anweisungen der Stimme und wandte den Kopf. Carina und Robert fl ankierten ihn an der Theke. Es gab keinen Lautsprecher für das Satellitentelefon, und deshalb waren sie ganz nah an ihn herangerückt, um wenigstens
einige Wortfetzen des schrecklichen Dialoges aufschnappen zu können.
»Nein, ich will nicht, dass sie sterben.« »Gut. Du musst nämlich eines wissen. Ob sie überleben, das hängt nur von dir ab. Von dir ganz allein.« Das Kribbeln in Simons Arm kam und ging in Wellen. Im Augenblick herrschte gerade Flut.
»Aber was soll ich denn sagen?

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