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Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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weiße Rauschen hinter seinen Ohren verschwand, das Leben fl oss wieder in ihn hinein, und damit kamen auch die Schmerzen zurück. Er löste seinen Gurt und rutschte aus dem Wagen heraus. Dabei fi el sein Blick auf Englers Waffe am Boden. Er griff sie und hielt sie beim Aussteigen auf den Killer gerichtet. Vor ihm lag ein langhaariger Mann mit ungläubig aufgerissenen Augen, aus dessen Kopf der Rest seines Lebens auf den Asphalt sickerte. Stern hatte das glattrasierte Gesicht des Handlangers noch nie zuvor gesehen, und dennoch kam ihm der Tote bekannt vor. Engler hat mich gerettet. Ausgerechnet Engler.
Er wollte nur ein kurzes Stück bis auf den Radweg gehen, stolperte jedoch nach wenigen Schritten und rollte eine Böschung hinab. Er fi el auf seine gefesselten Hände, schmeckte feuchte Erde, Laub und Holz, bevor er den Mut fand, seinen Kopf wieder vom Boden zu heben und sich aufzurichten. Ich muss hier weg.
Robert schwankte, belastete aus Versehen das falsche Bein und lehnte sich stöhnend an einen feuchten Baumstamm. Doch selbst die stärksten Schmerzen schafften es nicht, seine wuchernde Angst zu übertönen. Weiter oben rauschte ein Fahrzeug vorbei, doch niemand hielt an. Keiner stieg aus, um ihm zu helfen. Oder ihn zu verhaften. Noch nicht. Die Einsatzfahrzeuge waren bestimmt schon unterwegs. Sie werden mir nicht glauben. Ich muss hier weg.
Stern schrie erneut auf, diesmal aus seelischem Schmerz, der weitaus größer war als alle körperliche Qual, die er je erlebt hatte. Dann taumelte er in den Wald hinein und wollte sein kaputtes Leben zurückhaben, das er vor zwei Tagen noch so abgrundtief gehasst hatte.
28.
Z wanzig Uhr siebzehn. Das bedeutete, der Schweinehund
war jetzt siebzehn Minuten zu spät, und wenn er eines hasste, dann war es Unpünktlichkeit. Und natürlich versetzt zu werden. Das war noch schlimmer. Was den Menschen immer nur einfi el? Keiner von ihnen war unsterblich, doch jeder benahm sich so, als gäbe es irgendwo ein Fundbüro für verlorene Stunden, zu dem man gehen und sich seine vergeudete Lebenszeit wieder zurückholen konnte. Mit einem wütenden Schwall goss er den kalt gewordenen Kaffee in die Spüle und ärgerte sich auch über diese Verschwendung. Und über sich selbst. Er hatte ja gewusst, der Kerl würde schon wieder nicht kommen, warum musste er dann überhaupt erst welchen aufsetzen? Selbst schuld. Im Nebenzimmer klirrte ein Löffel gegen eine Porzellantasse. »Wollen Sie vielleicht mal eine Tasse Tee zur Abwechslung?«, rief er mit brüchiger Stimme und drückte die fi lterlose Zigarette aus, die ihm fast bis auf seine eingedellten Fingerspitzen heruntergebrannt war. »Ich mach grad Wasser heiß.«
»Nein, danke.«
Der unangemeldete Besuch schien im Gegensatz zu ihm keine Probleme damit zu haben, Minute um Minute ungenutzt an den Tod zu verschenken. Vielleicht mussten einem aber auch erst die Zähne ausfallen, Hämorrhoiden wachsen und die Fußnägel gelb werden, bevor man sich weigerte, auch nur eine halbe Stunde auf eine ungewisse Verabredung zu warten. So lange saß das Häufchen Elend nun schon auf seiner gepolsterten Kiefernholzbank, das letzte Möbelstück, das er noch gemeinsam mit seiner Frau angeschafft hatte. Maria war immer pünktlich gewesen. Meistens war sie sogar viel zu früh erschienen. Das hatte sie mit dem Krebs gemeinsam gehabt, der ihre Lunge befi el. Was für eine Ironie. Im Gegensatz zu ihm hatte Maria nie geraucht. Nanu? Der Mann drehte den Wasserhahn über dem halb ge füllten Teekessel ab und trat ans Fenster. Mit seitlich geneigtem Kopf lauschte er, ob sich das kratzende Geräusch nochmals wiederholen würde. Womöglich hatte er die Mülltonne nicht richtig verschlossen, und das würde bedeuten, dass er bei dem Sauwetter noch einmal vor die Tür musste, damit die Wildschweine ihm nicht den Rollrasen umgruben.
Das kleine Holzfenster, vor dem er stand, ging nach hinten raus, und normalerweise reichte der Blick von hier über die Terrasse bis zu der kleinen Schlauchbootanlegestelle am Teich. Doch der Kontrast zwischen der hellen Küchenbeleuchtung drinnen und der tintenartigen Dunkelheit da draußen war so groß, dass die Sicht schon wenige Zentimeter hinter der Scheibe abriss. Umso mehr erschrak er, als ein zerbeultes Gesicht sich plötzlich von außen an das Glas drückte.
Was zum …
Der alte Mann wich zurück und stolperte fast über einen
Küchenhocker. Die Fratze war hinter einem Kondensfi lm verschwunden, den ihr warmer Atem auf der

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