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Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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die Vorrichtung in der Hand hielt, rätselte sie darüber, wie sie beginnen sollte. Wie sie sich noch gut erinnern konnte, hatte sie den ersten Sprung ausgeführt, indem sie einfach mit einem bestimmten Ziel spazieren gegangen war. Daher begann Mina, die Hügelkuppe entlangzuschreiten, und hielt dabei den Apparat vor sich, als ob es sich um eine Taschenlampe handelte und sie versuchen würde, einen geheimnisvollen, verborgenen Pfad zu finden. Sie machte fünfzig Schritte, drehte sich um und ging zurück. Als sich das erwartete Resultat nicht einstellte, tat sie Gleiche noch einmal; nur ging sie jetzt in eine andere Richtung. Doch das Ergebnis blieb zu ihrer Enttäuschung gleich. Die Mechanismen, die eine Ley-Reise bewirkten, blieben offenkundig inaktiv und wurden von ihren Bemühungen in keiner Weise berührt. Unbeirrt machte sich Mina auf den Weg zu einer weiter entfernten Stelle und versuchte es erneut.
    Dies ging einige Zeit so weiter, doch das Resultat blieb immer gleich. Nach einer Weile spürte Mina, dass sie zunehmend entmutigt war. Nicht dass sie erwartet hatte, die Handhabung der Vorrichtung sei leicht zu erlernen. Doch sie hatte das Gefühl, nach all ihren Anstrengungen hätte sie irgendeine kleine Belohnung für ihre Zielstrebigkeit verdient – wenn nicht schon für die beträchtlichen Bemühungen, die sie unternommen hatte, um sich diesen Apparat erst einmal zu beschaffen.
    Am Ende steckte sie Burleighs komisches Ding in die Tasche ihres Arbeitskittels. Dann pflückte sie einen großen Strauß Wildblumen und band ihn zusammen, damit sie ihn auf der Rückfahrt in die Stadt gut halten konnte.
    An verschiedenen Orten rund um die Außenbezirke der Stadt führte sie während der nächsten paar Wochen weitere Experimente durch. Jedes Mal kehrte sie nach einem langen Marsch in besserer körperlicher Verfassung zurück, aber der Enträtselung des Geheimnisses von Ley-Reisen kam sie keinen Deut näher.
    Doch eines Tages geschah es; und es passierte ganz zufällig, als sie etwas völlig anderes erledigen wollte. Sie musste irgendeine Besorgung machen und spazierte die Moldau entlang, an einem sonnigen offenen Uferabschnitt des Flusses, der die Stadt teilte. Zunächst schlenderte sie durch die Unterstadt und dann hinaus ins Land, durch die Felder und Bauernweiler. In ihrem Hinterkopf dachte sie wie immer an das Kaffeehaus; und so hielt sie die Augen offen nach einer neuen Quelle für Honig, der in ihrer Backstube benötigt wurde. Alle ihre Lieferanten in der Stadt kauften den Honig lose im ländlichen Umland und boten ihn Mina zu einem Preis an, der einen ordentlichen Gewinn für sie einschloss. Schön und gut. Doch für Engelberts Backrezepte mussten mehr und mehr Süßungsmittel eingesetzt werden, denn ihre Kunden verlangten Gebäck, das den natürlichen bitteren Geschmack von Kaffee ausglich. Honig war die kostspieligste Zutat, und Mina hatte deswegen darüber nachgedacht, mit Bienenzüchtern auf dem Land direkt Verträge abzuschließen und sich das Erzeugnis frisch von der Quelle zu beschaffen. Durch die Umgehung der Zwischenhändler würden sowohl Mina als auch die Bienenzüchter einen besseren Preis erzielen, und sie könnte ihnen einen konstant aufnahmebereiten Markt garantieren.
    Sie spazierte unter einem leuchtend blauen Himmel, vorbei an Feldern mit reifender Gerste, Rüben und Bohnen, vorbei an Kühen, Schafherden und Gänsescharen. Zu ihrer Rechten bewegte sich träge der Fluss, seine lang gestreckten, langsamen Wellen kräuselten kaum die jadegrüne Wasseroberfläche. Zwischen den hohen Pflanzen entlang des Ufers paddelten Entenmütter, die von einer Flottille halbwüchsiger Küken umgeben waren; die Kleinen pickten nach Insekten und winzigen Stücken essbaren Treibguts.
    Ein Bauer mit Molkereiwaren, der neben seinem Eselskarren marschierte, näherte sich auf dem Weg, der am Ufer entlangführte; er tippte kurz an seinen Hut, als er an Mina vorbeiging. Die Luft war vorübergehend erfüllt von einem leicht sauren Milchgeruch; und Wilhelmina fühlte sich plötzlich zurückversetzt in eine Zeit und an einen Ort, an deren Existenz sie sich kaum noch zu erinnern vermochte: an einen Bauernhof in Kent, den sie bei einem Schulausflug kennengelernt hatte, als sie gerade einmal sechs Jahre alt gewesen war. Ihre Klasse hatte genau den Bauernhof besucht, der die Milch herstellte, die sie und ihre Klassenkameraden jeden Tag aus kleinen Flaschen tranken. Der Bauer hatte sie in einen Raum geführt, wo sie die großen

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