Das Knochenhaus
von ihnen zu dem versiegelten Eingang des Grabmals führen würde.
Dunkelheit senkte sich über das Wadi, und die Männer rollten sich nach ihrem einfachen Mahl in ihre Mäntel, um zu schlafen. Bald schon herrschte auch im Lager die Stille der Wüste. Kit selbst verbrachte jedoch eine ruhelose Nacht: Ihn quälten Träume, in denen er die Knochen von Cosimo und Sir Henry fand oder – schlimmer noch – in denen er im Grabmal zusammen mit ihren verfaulenden Leichnamen eingeschlossen war.
Durch diese unseligen Gedankenbilder legte sich ein dunkler Schatten auf seine Seele, der auch am nächsten Tag fortbestand – bis die Arbeiter bei der dritten Probegrabung einen großen Schlussstein aufdeckten, der in den Wadi-Boden gesetzt worden war.
Khefri rannte sogleich zu Kit, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen. »Sir! Sir, kommen Sie schnell. Dr. Young ruft nach Ihnen.«
»Was gibt es denn?« Kit lag auf seiner Grasmatte im Schatten des Zeltes, nachdem er eine ermüdende Arbeitsschicht bei der zweiten Probegrabung hinter sich gebracht hatte. »Haben sie was gefunden?«
»Es ist der Eingang zum Grabmal.« Khefri raste wieder weg. »Beeilen Sie sich!«
Kit sprang auf die Füße und stürzte dem flinken Ägypter hinterher. »Das ist es, worüber ich gesprochen habe. Jetzt fängt der Spaß erst richtig an.«
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ZWANZIGSTES KAPITEL
E s nahm zwei Tage in Anspruch, den Schutt aus dem Eingangsbereich des Grabmals und der kleinen Vorkammer wegzuräumen: Beide waren bis obenhin angefüllt mit Sand, Felsgestein und den Scherben zertrümmerter Tongefäße. Am Morgen des dritten Tages ihrer Ausgrabung standen Thomas und Kit zusammen und betrachteten die Hauptkammer vom Grabmal des Hohen Priesters Anen.
»Jemand war in schrecklicher Eile gewesen«, erklärte Thomas angesichts des Ausmaßes der Trümmer.
Eine neue Sorge beschlich Kit. »Sie meinen, das Grabmal ist geplündert worden?«
»O nein. Das meine ich überhaupt nicht – ganz im Gegenteil, wenn ich mich nicht irre.«
»Dann ...« Kit rätselte über diese Äußerung, doch ihre Bedeutung entzog sich ihm. »Was?«
»Die mit der Beisetzung betrauten Leute scheinen in einiger Hast gewesen zu sein, um ihre Aufgaben zu erfüllen und das Grabmal zu versiegeln, bevor es entdeckt werden konnte. Sehen Sie hier!« Mit heftigen Gesten wies Thomas auf den kastengleichen Raum, der mit Schutt vollgestopft war. »Bei einem normalen Begräbnis hätten die Priester darauf geachtet, dass die Unantastbarkeit des Grabmals bewahrt worden wäre. Die Ägypter liebten Gepränge: Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie sie jeden Quadratzoll jeder verfügbaren Oberfläche in einem Tempel mit den verschiedensten Arten von Malerei und Reliefs dekoriert haben?«
»Ja, das habe ich schon gemerkt.« Er hat recht , dachte Kit. Ägyptische Tempelkunst war mit regem Arbeitseifer betrieben worden.
»Das Gleiche gilt für ihre Grabmäler. Für gewöhnlich sind die Kammern vom Boden bis zur Decke mit Gegenständen angefüllt, die der Verstorbene für seine Reise durch die Ewigkeit benötigt. Ein Hoher Priester wäre davon ausgegangen, dass er nach seinem Tode ein luxuriöses Leben führen würde – umgeben von den Gegenständen, die er schätzte, und allem anderen, was man für sein ewiges Dasein als höchst notwendig erachtete.«
»Doch hier ist dies nicht geschehen«, stellte Kit fest, der nun seinen Freund verstand. »Wahrscheinlich, weil sie nicht die Zeit dafür hatten?«
»Exakt«, pflichtete Thomas ihm bei und wies gestikulierend auf den großen Haufen aus zerbrochenen Steinen, den Überresten von Gebäudeschutt. »Vielleicht erfahren wir den Grund für ihre ungebührliche Eile, wenn wir alle Kammern ausgeräumt haben. Ich glaube, es gibt noch zwei weitere, nicht wahr?«
»Das stimmt.« Kit zeigte auf die kaum sichtbare Wand am gegenüberliegenden Ende des Raums. Er versuchte, sich die Kammer so bildlich vorzustellen, wie er sie zuletzt gesehen hatte. »Der Raum, der uns interessiert, ist irgendwo dahinten. Zumindest war es so, als ich das letzte Mal hier gewesen bin.«
»Korrigieren Sie mich, wenn ich unrecht habe«, sagte Thomas. Seine stahlumrahmten Brillengläser glitzerten im schwachen Licht, als er sich umdrehte, um Kit direkt anzusehen. »Doch genau genommen sind Sie niemals in diesem Grabmal gewesen.«
»Genau genommen haben Sie recht.« Das Grabmal, an das sich Kit erinnerte, befand sich in einer ganz anderen Welt. Das war eine grundlegende Tatsache – aber auch eine, an die er
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