Das Koenigreich der Luefte
Armenhäusern nicht.«
»Wenn die Mechomaniker doch nur ebenso eigen wären, wenn es um Experimente an Leuten meines Volkes geht, Molly Weichkörper.«
Molly war zuvor noch nicht darauf eingegangen, dass Einrohr als unrein betrachtet wurde, als eine Schändlichkeit. Sie hatte sich an Schleichrad orientiert und diese Tatsache ignoriert, da sie auf keinen Fall irgendein Tabu der Metallrasse berühren wollte. »Ist das der Grund, weshalb du hier unten lebst?«
»Ich stehe abseits der Meinen, Molly Weichkörper«, erklärte Einrohr. »König Dampf benutzt meine Sichtgläser und Hörfalten, wenn es ihm gefällt, aber mein Bauplan entspricht keinem Entwurf, wie ihn die königlichen Konstrukteure im Dampfmann-Freistaat erdacht hätten. Überirdisch würde auch nicht einer meiner Rasse Kesselkoks mit mir teilen.«
»Wurdest du in Middlesteel gebaut?«, fragte Molly.
»Ich wurde nicht gebaut, Molly Weichkörper. Ich wurde kannibalisch aus den Teilen anderer Dampfmänner zusammengeschustert«, sagte Silber Einrohr. »Eure Mechomaniker können uns nicht bauen, aber sie hoffen immer noch, unsere Körper verstehen zu lernen, indem sie die Leichname unserer Gefallenen schänden. In mir sind Seelen von Dampfmännern gefangen, die man kombiniert hat, um das entstehen zu lassen, was ich bin. Ich höre sie in meinem Gedankenfluss, wie sie weinen und mich anflehen, sie freizulassen.«
»Indem du stirbst«, sagte Molly.
»Ja«, erwiderte Silber Einrohr. »Indem ich wieder in den großen Plan eingehe. Ich trage meine eigenen Vorfahren in mir, und jeder Schritt, den ich unternehme, ist für sie eine Entehrung, aber ich kann den Gedanken nicht ertragen, mich zu deaktivieren. Das Leben ist zu lebenswert, selbst hier unten. Da ist der herrliche Anblick der Deckenstürme. Das zufriedene Gefühl, wenn man etwas repariert hat, das zuvor kaputt war. Der Geruch des Waldes, wenn die Sporen abgeworfen werden und den Boden wie frischer Schnee bedecken. Anstelle zu sterben lebe ich also hier unten im Bauch der Erde wie ein Feigling, zeige keinem meiner Metallbrüder mein Gesicht und bin mir selbst Gesellschaft genug.«
Molly zündete den kleinen Ofen in der Zimmerecke an. »Wie geschah es, dass der Mechomaniker so viele tote Körper in die Hände bekam?«
»Ein Hochhaus brach zusammen«, sagte Einrohr. »Blimber Watts. Die Druckkammern gaben nach.«
Molly Heß beinahe ihre Kohlenschaufel fallen. »Silber Einrohr, ich war dort! Ein Dampfmann hat mich schließlich aus den Ruinen gerettet.«
»Dann verstehst du, Molly Weichkörper.«
»Ja. Ja, ich glaube, ich verstehe.«
»Der Dampfmann, der dich rettete, suchte sicherlich nach unseren Toten ebenso wie nach Überlebenden, um unseren Seelen Frieden zu bringen, bevor die Leichenfledderer das tote Metall erbeuten konnten. Bei Stahlbhalah-Waldo, wir sind unter unserer Hülle Bruder und Schwester. Du musst mein Werk sehen, du wirst verstehen.«
Molly sah Einrohr zu, wie er mit seinen drei Scherenbeinen über den Boden stakte, dann schloss er eine kleine Holztür hinter einem Vorhang auf. »Komm.«
Silber Einrohr führte sie eine enge Treppe hinauf in eine Dachkammer. Der Raum war voller Leinwandgemälde – alle in Schwarz-Weiß –, die in überirdischen Szenen das Kristalllicht zeigten, wie es in den Wald schien, während eine einsame Gestalt im Schneidersitz unter einem sich oben verbreiternden Pilz saß. Auf allen Bildern war dieselbe Gestalt zu sehen, undeutlich und allein, wie sie neben einem Fenster stand, das von draußen gemalt worden war, klein vor einem langgezogenen Gebäude, oder wie sie ganz allein am Ufer eines unterirdischen Sees spazieren ging.
Molly Heß die Finger über die Struktur der Farbe gleiten. »Du arbeitest immer mit demselben Modell.«
»Sie ist kein Modell«, sagte Silber Einrohr. »Ich sehe sie oft in der Ferne. Ich weiß nicht genau, wer sie eigentlich ist. Der Schatten einer der Toten von Blimber Watts vielleicht. Oder ein Geisterbild, das in meinem Sichtglas zurückblieb, als mich der Weichkörper-Mechomaniker wieder zusammensetzte.«
»Sie sind wunderschön«, sagte Molly.
»Ich bin der einzige Dampfmann, von dem ich wüsste, dass er malt«, sagte Silber Einrohr. »Falls ich je den Mut aufbringe, mich zu deaktivieren, dann werden diese Werke mich vielleicht überleben. Etwas von mir wird zurückbleiben, etwas, das nicht von den Seelen meiner Bauplanverwandten gestohlen wurde.«
Molly legte das Gemälde, das sie betrachtet hatte, wieder auf den Boden.
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