Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman
unseres Volkes einem im Dreck wühlenden Ausgestoßenen anvertrauen. Das ist unsere Bezeugung der Treue.«
Septimoth zischte einen Fluch und reichte das Instrument der ausgestreckten Kralle, die es in Empfang nahm. »Achte gut auf den Knochen meiner Mutter, Seher der roten Feder. Das ist keine Bitte, verstanden? Kein Vorschlag. Oder ihr werdet merken, wie tief ich in meiner Ausgestoßenheit gesunken bin.«
Damit machte der Laschlit einen Satz vom gehärteten Gummidach und ließ sich in die Tiefe fallen, bevor er die Schwingen ausbreitete und wieder aufwärtsglitt, hinaus aus den Straßenschluchten. Die vier Seher standen auf den Schloten, ihre Köpfe nickten sanft und gedankenverloren.
Dann sprach der größte unter ihnen. »Können wir ihm vertrauen?«
»Er ist das, was wir haben. Was uns die Höhle der lauernden Jäger gegeben hat.«
»Uns weht ein ungünstiger Wind«, beklagte sich der hochgewachsene Laschlit. Er sog angeekelt die verpestete Luft von Middlesteel ein. »Und ich meine nicht der
Dreck der Industrie, die sich diese geschäftigen kleinen Affen aufgebaut haben.«
»Du vergisst, auch ich habe die Zukunft gesehen.«
»War sie leer in deiner Vision?«
»So leer wie ein Gletscherfeld aus der Kaltzeit.«
Einer der Laschliten machte ein missbilligendes Geräusch. »Septimoth allein wird uns nicht retten können.«
Gemeinsam hoben sich die Seher von ihren Plätzen und flogen gen Himmel, zurück zu den Bergen im Norden.
Amelia tat etwas, von dem sie gedacht hatte, dass es ihr nie wieder gelingen würde – sie erwachte blinzelnd und versuchte, sich aufzusetzen. Eine Hand drückte sie wieder aufs Bett, menschenähnliche Finger, von schwerem Panzer geschützt. »T’ricola.«
Die craynarbische Maschinistin saß an ihrem Bett. »Ruhen Sie sich aus, Professorin. Wir mussten Ihnen an einem Dutzend Stellen Blut abzapfen, sonst wäre Ihr Körper geplatzt wie eine verdorbene Frucht. Sie haben beinahe ein Viertel Ihres gesamten Blutes verloren.«
Als die Craynarbierin sprach, fühlte Amelia das Brennen der Wunden, das Pochen unter Verbänden, die mit viel Sachverstand um ihre Arme und Beine gewickelt worden waren. »Ich hatte aus verlässlicher Quelle gehört, dass das Gift des Teufelstachelfisches tödlich ist.«
»Für euch Weichhäute«, sagte T’ricola, »nicht für uns; ihr Stich ist für Craynarbier schmerzhaft wie der
Biss einer Natter für einen Jackalianer – aber er bringt uns nicht um.« Sie hob ihren gezackten Schwertarm. »Ich habe Ihren Anzug hiermit aufgeschnitten. Mein Schweiß enthält ein Gegengift, das Ihnen das Überleben ermöglicht hat. Ich habe auch meine Tränen in Ihre Wunden gerieben, in die Nähe eines Einschnitts, den ich oberhalb Ihres Herzens gemacht habe.«
»Dann habe ich Glück, dass ich noch lebe«, sagte Amelia. »Und es tut mir leid, dass ich Sie zum Weinen gebracht habe.«
»Selbst in Middlesteel in den Straßen von Shell Town ist es ein wichtiges Ritual«, sagte T’ricola. »Aber Sie hatten tatsächlich Glück, denn ein Teil Ihres Körpers wurde von einem Weltensänger manipuliert, oder? Die Muskeln Ihrer Arme haben dem Gift widerstanden, bis ich zu Ihnen kam. Ein normaler Körper wäre viel schneller davon überwältigt worden.«
»Wenn einem Shelltown im Blut liegt, kann man es nicht verleugnen, was, T’ricola? Ich schulde Ihnen mein Leben.«
Die Maschinistin klopfte gegen die Seiten des Bugschotts. »In Shelltown gehe ich nur mal an Land, Professorin. Ich bin eine Meersäuferin der dritten Generation, auf einem Tauchboot unter der Meerenge von Tharia geboren, und meine ersten Schritte habe ich zwischen den Kolben eines Maschinenraums gemacht. Das hier ist mein Zuhause, nicht Jackals, und ganz sicher nicht Liongeli.«
»Eine Menschenmaschinistin, nicht nur eine Tauchbootmaschinistin
– der Kommodore hat Glück, dass er Sie gefunden hat. Ich hoffe, dass er sie für diese Reise gut bezahlt.«
»Menschen sind Maschinen gar nicht so unähnlich – Milz und Knochen statt Rädchen und Fett.« T’ricola zog den Vorhang vor dem Alkoven zur Seite – die Kajüte, in der sie sich befanden, war wesentlich geräumiger als Amelias eigene. An der gegenüberliegenden Wand saß Kommodore Black und spielte an einem runden Eichentisch offenbar eine Partie Schach mit Veryann. Einen Augenblick war Amelia von der Größe des Raumes überrascht, aber dann fiel es ihr wieder ein: Die Sprite war einmal ein royalistisches Tauchboot gewesen, und ihr Skipper hatte oftmals
Weitere Kostenlose Bücher