Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman
ihnen stampfte. »Ich war der Einzige, der am Leben blieb, nachdem die Soldaten unserer Spur in die Berge gefolgt waren. Mein ganzer Stamm wurde abgeschlachtet, wie hätte ich so viele fressen können?«
Eine lange Kralle deutete anklagend auf Septimoth. »Verfolgen dich ihre Seelen mit Flüchen auf den Schnäbeln, Botschafter? Die Seelen, die du zurückließest, damit Nachtsturm und ihre teuflischen Diener sie einsammeln ?«
»Ich habe es versucht«, keuchte Septimoth, dessen Stimme vor Schluchzen in ein abgehacktes Pfeifen überging. Er erinnerte sich daran, wie ihm das Fleisch seiner toten Familie aus dem Schnabel hing, als er verzweifelt versucht hatte, sie alle aufzufressen. So viele Hunderte von Leichen lagen verstreut in seinem Dorf, baumelten aus den Horsten, verstopften die Straßen, durchbohrt von den Lanzen der Shifter. Wie hätte ein einzelner Laschlit so vielen Toten die nötigen Ehren erweisen können, selbst wenn ihn die lachenden Soldaten des Gemeinwesens dabei nicht mit ihrem Spott verfolgt hätten? Sie hatten ihn einen dreckigen Kannibalen genannt, Glieder von den Toten abgetrennt und sie ihm zugeworfen. Hatten ihm applaudiert, als er versuchte, die Seelen möglichst vieler Verwandter zu retten, indem er sie fraß.
»Der Stamm verzehrt den Stamm«, zitierte der größte Seher.
»Nichts übrig lassen für den Feind, nichts übrig lassen, damit Nachtsturm es stiehlt«, intonierten die anderen.
»Nachtsturm wird die Seelen meines Stammes freilassen!« , rief Septimoth. »Sie wird sie freilassen, wenn ich ihr ein Festmahl jener Shifter bereite, die meine Flugbrüder ermordeten.«
»Dein Rachefestmahl muss warten«, befahl der Seher. »So elendig du sein magst, und ein so erbärmlicher Jäger, wie ich überhaupt je gesehen habe – du trägst nun wieder das Zeichen. Die Seherin der Höhle der lauernden Jäger hat dich selbst vorhergesehen. Ihr Wille ist Gesetz, selbst für einen ausgestoßenen Affensprachler wie dich.«
»Ich bin in ihren Visionen?« Der Gedanke war ein Schock für Septimoth. Er war unrein. Ausgestoßen und gebrochen. Wie konnte er in den prophetischen Träumen eines so hehren Wesens erscheinen? Sie war das Höchste aller Orakel.
»Wir sind ebenso entsetzt wie du. Nach all deiner Zeit bei den Dreckwühlern, weißt du noch, wie man die Hohe Jagd fliegt?«
Septimoth erinnerte sich an die wilde Freude seiner Jugendzeit, wenn er so hoch oben durch die Lüfte glitt, dass er nur noch durch seine versiegelten Sauerstoffsäcke atmen konnte. An die wilde, ungezügelte Begeisterung, wenn die Jagdgruppe einen Skrayper entdeckte, auf die zeppelingroße Kreatur hinabstieß, sich an den schwebenden Tentakelstacheln vorbeischlängelte, um Speere in das blaue Fleisch zu schlagen. »Das weiß ich noch.«
»Dann erinnerst du dich sicherlich auch an jenen Bereich der Jagdgebiete, in den du nicht eindringen durftest?«
»Ihr sprecht vom flüsternden Himmel.«
»Das ist es, was man in der Höhle der lauernden Jäger sah. Der flüsternde Himmel ist böse, und sein Ruf lockt viele zu sich. Es wurde vorausgesagt, dass der flüsternde Himmel schon bald erwachen wird, aber dass sich einer der Flugbrüder ihm entgegenstellen wird.«
»Ich? Wie kann diese Aufgabe mir zufallen? Ich bin ein gebrochener Flügel, ein wandelnder, unverzehrter Toter.«
»Du hast eine Rolle zu spielen, ebenso wie die flugunfähigen Affen und das Metallvolk. Unsere Seherin hat Übergriffe gegen die Rädchen und Kristalle des lebenden Metalls gesehen. Du musst dem Leidensweg der Dampfmänner folgen.«
»Den Grabschändungen in Middlesteel?«, hauchte Septimoth. »Ist es das, was die Heiligste der Heiligen meint? Sprach sie von einer Verbindung zu einem Mechomaniker aus Quatérshift oder einem alten blinden Krieger?«
»Sie sprach von dir, Septimoth, und das genügte, um alle, die ihr lauschten, in Unruhe zu versetzen.«
»Sonst hat sie nichts gesagt?«
»Nur, dass du uns deine Knochenflöte geben sollst, damit wir sie zur Höhle der lauernden Jäger zurückbringen.«
»Sie besteht aus dem Rückgrat meiner Mutter«, sagte
Septimoth. »Ich habe ihren Leichnam verzehrt, und ich werde sie euch nicht überlassen.«
»Wir verlangen eine Bezeugung deiner Treue, Septimoth, deiner Ergebenheit. Du sollst deine Knochenflöte zurückerhalten, wenn du auf den Winden gesegelt bist, die von der Seherin der Höhle der lauernden Jäger enthüllt wurden. Wir verlangen diese Geste von dir, und im Gegenzug müssen wir das Schicksal
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