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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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ungläubiger Wut auf ihr PDA starrte.
    »Was ist passiert?«, keuchte ich.
    Sie versetzte dem Gerät einen verärgerten Schlag. »Sie sind verschwunden!«
    »Wie bitte?«
    »Verschwunden! In Luft aufgelöst!« Sie ließ die Schultern hängen, und ein, zwei Sekunden lang glaubte ich, hinter dieser makellosen Fassade die wahre Barbara hervorblitzen zu sehen. »Sie spielen mit uns!«
    Als ich endlich wieder so weit zu Atem gekommen war, dass ich ganze Sätze bilden konnte, sagte ich: »Sie haben mich gerettet. Dafür möchte ich Ihnen danken.«
    »Nicht nötig.«
    »Wie kommt es, dass es bei Ihnen keine Wirkung hatte? Das Niespulver?«
    »Mein Atmungssystem ist dem Ihren in hohem Maße überlegen. Ich kann drei Stunden aushalten, ohne Luft zu holen.«
    »Beeindruckend«, sagte ich; ich glaubte ihr kein Wort. »Und nur mit einer kleinen Pille, die er Ihnen gab, hat Mister Jasper das alles bewerkstelligt?«
    Barbara nickte ernsthaft. »Ungeachtet seiner zahlreichen persönlichen Schwächen ist Mister Jasper der brillanteste Chemiker der Gegenwart. Das Direktorium nimmt nur die Besten. Die Spitzentalente. Die Wunderkinder.« Ihr Blick glitt über mich, als hätte sie sich plötzlich an etwas erinnert. »Und natürlich Sie, Henry.«
    Sie lief wieder los.
    »Wohin wollen wir eigentlich?«
    »Wir sind den Dominomännern auf den Fersen. Wir folgen ihrer Spur.«
    »Aber wir haben sie längst verloren! Das ist doch zwecklos!« Schweigend hetzte sie weiter.
     
    Die lange Nacht wurde zum frühen Morgen, und der erste Schimmer der Morgenröte war gerade dabei, das graue Einerlei des Himmels zu beleben, als wir auf eine Seitenstraße stießen, in der sich zahlreiche geparkte Taxis an den Ausgang eines Nachtcafés drängten wie Ferkel an die Zitzen der Muttersau.
    Ich hatte das Gefühl, schon seit Stunden ununterbrochen auf den Beinen zu sein, und so schlug ich Barbara vor, wenigstens die Gelegenheit für einen Kaffee wahrzunehmen. Im Stillen fragte ich mich, ob sie Nahrung im traditionellen Sinn überhaupt benötigte, und so war ich überrascht, als sie mir rasch zustimmte, wobei ich sogar einen Anflug von Dankbarkeit aus ihrer Stimme herauszuhören glaubte.
    Meine Hosenbeine hatte ich wieder zu ihrer ganzen Länge hinabgelassen und die Schulkrawatte weggeworfen, und so sah ich mehr oder weniger normal aus, als wir eintraten. Das Lokal war randvoll mit Taxifahrern, unter denen, wie mir schien, wenig bis gar keine Kameradschaft herrschte. Sie saßen allein oder höchstens zu zweit verdrießlich an den Tischen, hielten Plastikbecher in der Hand, überflogen die Sportseiten der Zeitung vom Vortag oder starrten blicklos das kahle, schmierige Resopal der Tischplatten an. Selbst Barbaras Erscheinen in ihrer Mitte rief wenig mehr als ein papiernes Rascheln, zwei, drei lüsterne Seitenblicke und einen einzigen beifälligen Pfiff hervor, welcher zu einem kläglichen Nichts erstarb, als die Augen meiner Begleiterin den Verursacher kurz durchbohrten. Ich holte uns zwei Tassen Kaffee, und wir setzten uns an ein Fenster.
    »Erinnern Sie sich, wie ich meine Arbeit bei Ihnen im Büro begann?«, fragte sie, nachdem wir beide einen Schluck des überraschend passablen Kaffees genommen hatten.
    Plötzlich klang ihre Stimme anders, und in mir keimte ein jähes Gefühl der Hoffnung auf. »Barbara?«
    Ein kurzes Lächeln. »Barbara ist immer da, Henry. Auch wenn es nicht den Anschein hat. Aber ich habe Ihnen eine Frage gestellt. Erinnern Sie sich an meinen ersten Arbeitstag?«
    »Natürlich.«
    »Sie waren freundlich zu mir. Sie führten mich herum, in die Registratur und zu dieser schwitzenden Frau im Kellergeschoss. Sie stellten mich Peter Hickey-Brown vor.«
    Ich schob die Erinnerung an alles, was seither geschehen war – vom Zusammenbruch meines Großvaters bis zu dem Blutbad im Diabolism –, beiseite und riskierte ein Lächeln. »Lieber Himmel, der Mann ist ein aufgeblasener Schwätzer. Wissen Sie noch, wie er versuchte, Sie mit dem Aufzählen aller Gigs, zu denen er geht, zu beeindrucken?«
    Bei dem Gedanken daran machte Barbara den Versuch zu lachen, aber es war etwas Schmerzhaftes für sie: ein erzwungenes Schnarren, ein kehliges Zischen, ein mechanisches Krächzen.
    »Es freut mich, dass Sie sich daran erinnern«, sagte ich leise.
    »Es ist seltsam.« Sie nahm noch einen Schluck Kaffee. »Da gibt es Abschnitte in Barbaras Leben, an die ich mich ganz genau erinnern kann. Ihr Vater – mein Vater –, der mit mir zu Weihnachten zur Kirche ging.

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