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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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lächelte melancholisch. »Aber wir bleiben Freunde, nicht wahr? Und es wird noch schöner sein als Freundschaft. Schöner als eine Beziehung.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Hör mal, Joe und ich müssen jetzt gehen. Wir haben eine Menge zu tun. Tut mir leid. Ehrlich.« Sie küsste mich auf die Stirn und ging.
    Ich hörte das Zuschlagen der Haustür, das Knacken des Schlüssels im Schloss, und eine Weile herrschte absolute Stille.
     
    Ich muss wohl das Bewusstsein verloren haben, denn als ich die Augen wieder öffnete, war es dunkel geworden, das Blut an meinen Handgelenken war zu Krusten getrocknet, und ich verspürte das brennende Bedürfnis zu urinieren. Aber ich war nicht allein. Ich vernahm Bewegungen, Schritte draußen.
    War jemand gekommen, der nach mir suchte? War Abbey unter der Last ihres schlechten Gewissens zurückgekehrt? Großvater?
    Die Tür knarrte, Schritte kamen auf mich zu, jemand flüsterte meinen Namen. Ein Fünkchen Hoffnung entzündete sich in mir.
    Licht in meinen Augen. Ein heller Schein vor meinem Gesicht. Hände, die sich mir entgegenstreckten …
    Ich stöhnte aufgeregt zur Begrüßung.
    Meine Retter grinsten. »Abend, Sir!«
    »Holla, altes Haus.«
    Der Rothaarige riss mir das Klebeband vom Mund, und ich jaulte auf vor Schmerz.
    »Sie sehen ein bisschen spitz aus, Sir.«
    »Bitte«, murmelte ich. »Bitte … bitte helfen Sie mir … Ich weiß, wir hatten unsere Differenzen, aber lassen Sie mich, um Gottes willen, gehen!«
    Einer der beiden kicherte. »Bedaure, Lämmchen, aber das ist einfach nicht drin.«
    Hawker zerrte an meinen Händen, bis er sie aus den Klebebändern gewunden und die Handgelenke freigelegt hatte.
    »Haben wir Ihnen eigentlich schon mal von unserem Taschenmesser erzählt?«, fragte Boon.
    »Wäre mächtig komisch, wenn wir das nicht getan hätten«, gluckste Hawker, »weil wir’s fast allen Jungs flüstern. Es hat einen Flaschenöffner und einen Korkenzieher und so ein Dings, mit dem man Pferden die Steinchen aus den Hufen holen kann.«
    Der Druck in meiner Blase war unerträglich geworden, und nun spürte ich in meinem Unglück, wie mir die warme Pisse in die Hose floss und die Beine durchnässte.
    Hawker kramte in der Tasche seines Blazers und zog mit sichtlichem Stolz ein langes Messer hervor, das er dicht an mein linkes Handgelenk hielt.
    Ich schrie auf. »Bitte! Was tun Sie denn da?!«
    Boon kicherte. »Wir sind brave Jungs!«
    »Und die Stärksten in der ganzen Schule!«
    »Wir machen nur das, was Ihr Großpapa wollte.«
    Kalter Stahl auf meiner Haut.
    »Also, ich würde mich nicht aufregen, Sir.«
    »Kopf hoch, altes Lammfell.«
    »Ist alles Teil des Planes.«
    »Teil des Programms.«
    Hawker schnitt in mein Handgelenk und schlitzte die Haut mit einer raschen senkrechten Bewegung auf, wobei er dem Verlauf der Schlagader folgte. Blut sprudelte hervor. Mit grausiger Virtuosität wiederholte er den Vorgang beim anderen Handgelenk.
    Während ich in hysterisches Gebrüll verfiel, tippte Boon sich an den Schirm seiner Kappe. »Leider müssen wir jetzt sausen, Sir.«
    »Aber Sie sollten wissen, dass es uns ein echtes Vergnügen war.«
    »Wir hatten mordsmäßigen Spaß!«
    »Allotria!«
    »Jux und Tollerei!«
    »Bye-bye, Sir!«
    »Dingelingeling!«
    In einer Wolke aus Brausepulverduft und dem Geruch nach Feuerwerkskörpern begannen die beiden zu schimmern und zu verblassen, ehe sie ganz verschwanden. Ich blieb in diesem elenden Zimmer allein zurück, schon viel zu ermattet, um noch laut zu schreien, und sah zu, wie mein Leben mich verließ und auf den Boden floss. Ich starrte auf die Pfütze, bis ich es nicht mehr ertragen konnte. Da schloss ich die Augen, überließ mich dem Schmerz und machte ein paar letzte, gierige Atemzüge.
    Kurz darauf hörte mein Herz auf zu schlagen, und ich verkroch mich in die Finsternis.

SECHSUNDZWANZIG
     
    Ich sehe gerade, was ich gestern Nachmittag geschrieben habe. Da es auf der Hand liegt, wird auch Ihnen klar sein, was geschehen ist: Der andere Erzähler (der Eindringling, der boshafte Störenfried) ist wieder da, und ich bin nicht mehr Herr über meine Feder.
    Das ist es also.
    Ein Wettrennen zur Ziellinie.

SIEBENUNDZWANZIG
     
    Unvermutet schlug ich die Augen auf.
    Ich fühlte mich, als sei ich soeben erwacht aus einem außergewöhnlich lebhaften Traum, der mein Inneres nach außen kehrte. Ich war benommen und zerschlagen und hatte einen sauren Geschmack im Mund, aber die Symptome waren nicht schlimmer als nach einem mittleren

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